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Aotearoa

Aotearoa

Donnerstag, März 14, 2024

Von der Stadt des ewigen Frühlings machte ich eine weite Reise ins Land der langen weissen Wolke, um nach über einem halben Jahr endlich meine Freundin wiederzusehen.

Aotearoa ist eine Bezeichnung, welche die Māori den Inseln gaben, die niederländische Seefahrer später Neuseeland nannten. Der Legende nach soll die Nordinsel entstanden sein, als der polynesische Halbgott Māui einen riesigen Fisch aus dem Ozean zog. Während er einen Priester suchte, um die Dankgebete zu sprechen und entsprechende Zeremonien durchzuführen, versuchten seine Brüder ungeduldig, den Fisch zu zerteilen, wodurch Berge und Täler entstanden. Die Südinsel ist demnach das gekenterte Kanu, wobei die Südalpen durch den Kiel gebildet werden. Stewart Island schliesslich ist der Anker des Kanus. In der Sprache der Ureinwohner heisst die Nordinsel deshalb Te Ika-a-Māui, der Fisch von Māui, und die Südinsel Te Waka o Māui, das Kanu von Māui, wobei aber auch andere Bezeichnungen geläufig sind.

Im Gegensatz zum grossen Nachbarn Australien fördert (und vermarktet) Neuseeland die Sprache und Kultur der Māori; so gibt es Zeitungen, Radio- und Fernsehsender in der Sprache, die auch an den Schulen als Wahlfach gelehrt wird. Interessanterweise gelten eigentlich nur Te Reo Māori und die neuseeländische Gebärdensprache als Amtssprachen – Englisch ist "nur" de facto eine davon, dafür aber die mit Abstand am meisten gesprochene. Schon bei der Ankunft in Auckland fiel mir auf, dass viele Schilder zweisprachig beschriftet waren, später bemerkte ich die vielen Orts- und Flurnamen, die so gar nicht Englisch sind. Zwischen den 14.6 % der Bevölkerung, die sich der indigenen Bevölkerung zugehörig fühlen, und den europäisch-stämmigen, zuweilen Pākehā genannten, Bewohnern hat eine Verschmelzung der Kulturen stattgefunden und die Māori sind auch im Parlament repräsentiert. Es gibt sogar für alle die Möglichkeit, ein universitäres Studium zur Kultur abzuschliessen.

Eva holte mich am Flughafen ab und musste sich ziemlich gedulden – der Inselstaat mit einem immensen Reichtum endemischer Flora und Fauna hat strenge Richtlinien erlassen, was den Import tierischer und pflanzlicher Produkte angeht. Dieses Mal wurden mein Zelt inspiziert und die Wanderschuhe gründlich gereinigt, bevor ich eingelassen wurde. Dann durften Eva und ich uns endlich wieder in die Arme schliessen.

Northern Explorer

Nach einem ruhigen Tag in Auckland – zum ersten Mal auf dieser Reise hatte ich Jetlag – bestiegen wir den Northern Explorer, der für den Personenverkehr als einzige Fernstrecke des Zugnetzwerks auf der Nordinsel verblieben ist. Er verbindet dreimal pro Woche auf einer Strecke von 682 km Länge die bevölkerungsreichste Stadt Auckland mit der Hauptstadt Wellington. Etwa in der Mitte, direkt nachdem wir die ingenieurstechnische Meisterleistung der Raurimu Spiral durchfahren hatten, bei der mit einer Reihe von Kurven, Tunneln und einer Spirale das vulkanische Hochplateau erklommen wird, pausierten wir im National Park Village. Das Dorf ist nach dem viertältesten Nationalpark der Welt benannt, dem Tongariro National Park. Er entstand dadurch, dass die örtlichen Māori 1887 der britischen Krone ein Gebiet um die ihnen heiligen Gipfel der Vulkane Tongariro, Ngauruhoe und Ruapehu schenkten, aus Furcht vor einer Ausbeutung durch die Kolonisten. Ihre Bedingung war die Schaffung einer Schutzzone, die mit zusätzlichen Landkäufen auch verwirklicht wurde. Das Gebiet ist seit 1993 aufgrund mehrerer vorhandener Kulturstätten das erste kombinierte Natur- und Weltkulturerbe der UNESCO. Kinofans kennen Teile des Nationalparks aus der "Herr der Ringe"-Trilogie, unter anderem diente der Schichtvulkan Ngauruhoe mit seinem symmetrischen Kegel als Schicksalsberg, in dem (Spoiler Alert!) Der Eine Ring geschmiedet und am Ende auch wieder zerstört wird.

Ngauruhoe

Nach einer Partie Minigolf, einer herzhaften Mahlzeit im Pub und einer erholsamen Nacht schnürten wir die Wanderschuhe und bestiegen den Shuttlebus zum Start des Tongariro Alpine Crossing. Dieser quert auf einer Länge von 19.4 km mehrere Krater des Tongariro und gilt als eine der schönsten Eintageswanderungen weltweit. Die Landschaft ist abwechslungsreich; zu Beginn ist sie von Farnen und Besenheide geprägt, die einst zur Moorhuhnjagd eingeführt wurde und heute die endemische Flora bedroht. In den höher liegenden Bereichen ist der Pflanzenbewuchs spärlicher und besteht vorwiegend aus vereinzelten Grasbüscheln. Eindrücklich sind auch die verschiedenen Gesteine und deren Farben, die vom Weg aus erkennbar sind – besonders der Red Crater mit seinen Eisenoxiden sticht dabei heraus.

Tongariro Alpine Crossing
Red Crater

Hatte der Tag zunächst neblig und kühl begonnen, so klarte der Himmel zunehmend auf und am Nachmittag war es sogar sonnig und warm. Vom Gipfel des Red Crater aus bot sich ein grandioser Blick über den Central Crater und drei durch Mineralien grünblau gefärbte kleine Seen, die Emerald Lakes. Die Seen sind heilig und es ist untersagt, das Wasser zu berühren, Steine hineinzuschmeissen oder in der Nähe zu essen. Unmittelbar neben den faszinierenden Seen spien mächtige Dampfwolken in die Luft und erfüllen sie mit dem Geruch von Schwefeldioxid. Ein weiteres eindrückliches Zeugnis anhaltender Aktivität der Vulkane findet sich im topfebenen Krater selbst: An einigen Stellen bedecken erstarrte Lavaflüsse den Boden und kontrastieren farblich mit dem Untergrund.

Emerald Lakes
Central Crater

Nachdem wir auch den Blue Lake passiert hatten, führte der Weg an der nördlichen Flanke des Vulkans wieder talwärts. Wieder änderte die Vegetation mit abnehmender Höhe, wurde artenreicher und grösser: Von Gras- und danach Heidelandschaft her kommend wanderten wir durch hohe Büsche und schliesslich Regenwald mit hohen Baumfarnen. Das Ende des Wegs markierte ein Unterstand, vor dem der Shuttlebus hielt und uns wieder ins Hostel brachte. Dieses verfügte über eine eigene Kletterhalle mit Toprope-gesicherten Routen, an denen wir uns anderntags die Zeit vertrieben, bevor es per Zug wieder weiterging.

Die Zugskomposition bestand aus drei Panoramawagen, einem Speisewagen mit leckeren Mahlzeiten und Snacks, einem Aussichts– und Fotowagen ohne Fensterscheiben und einem Gepäckwagen, alles gezogen von einer Lok, welche in den nicht elektrifizierten Abschnitten zusätzlich auf einen Dieselmotor zurückgreifen konnte. Der Zug wand sich langsam durch rollende grüne Hügel mit weissen Schafen, schwarzen Kühen, braunen Hirschen und bunten Truthähnen. Manchmal fuhren wir an plätschernden Bächen vorbei oder querten auf hohen Viadukten tiefe Schluchten, bis wir die tiefer gelegenen Sümpfe und schliesslich die Tasmanische See erreichten. Ein Audiokommentar machte uns auf die Besonderheiten entlang der Strecke aufmerksam oder erklärte uns Details aus der Geschichte des Baus und Betriebs dieser Linie. Zum Teil diente die Eisenbahn der Versorgung britischer Forts bei der Besetzung des Landes, später dann zweigten kleinere Bahnen ab, um Holz von Sägereien, Kohle aus Bergwerken oder landwirtschaftliche Erzegnisse von Farmen an die Hauptlinie zu verfrachten – und von dort in die Städte, zu den Exporthäfen.

Hügellandschaft

In Wellington verbrachten wir einen Grossteil des nächsten Tages im Schutzgebiet Zealandia. Hier sorgen spezielle Metallzäune mit einem beidseitigen vegetationsfreien Streifen dafür, dass weder Possums noch Marder, Ratten, Ziegen oder Katzen in das Tal des Karori eindringen können. Mit Fallen wird die Zone Raubtierfrei gehalten, damit einheimische Spezies ungestört hier leben können. Es wird mit grossem Aufwand versucht, den Ort möglichst in den ursprünglichen Zustand vor der Ankunft des Menschen, sprich der Māori von Polynesien her um das Jahr 1250, zurückzuversetzen. Dafür wurden beispielsweise die Wasserstände der Stauseen abgesenkt, um eingeführte Fischarten auszumerzen, oder Bäume unter Zuhilfenahme von Helikoptern gefällt – beim Sturz der abgesägten Stämme hätten ansonsten Kiwibauten zerstört werden können. Das Projekt inspirierte andere im Land, welches sich seither das ehrgeizige Ziel gesetzt hat, bis 2050 raubtierfrei zu sein.

Zealandia

Neuseeland entstand aus dem Superkontinent Gondwana, indem sich vor 80 Millionen Jahren eine Landmasse (Zealandia) löste, die etwa zehnmal so gross war wie der heutige Inselstaat. Diese sank durch ein beständiges Strecken der Kontinentalkruste langsam ins Meer, wird aber seit 23 Millionen Jahren wieder nach oben gedrückt: Die Grenze zwischen der pazifischen und der indo-australischen Platte verläuft entlang der Nordinsel und durch die Südinsel. Durch tektonische Vorgänge entstanden die Südalpen, vulkanische Aktivität an der Plattengrenze hingegen formte Teile der Nordinsel. Die lange Isolation der Inselgruppe von anderen Landmassen führte dazu, dass sich eine grosse Artenvielfalt entwickeln konnte. Neuseeland weist über 80'000 endemische Arten auf, einige davon sind uralt. So finden sich seit 400 Millionen Jahren nahezu unveränderte Pflanzen, die sonst nirgends auf der Welt überlebt haben, oder die Reptilienart Tuatara, die letzten Überlebenden einer Ordnung, die vor 200 Millionen Jahren ihre Blütezeit hatte. Auch abgesehen davon ist die Tierwelt hier etwas exzentrisch: Die meisten Echsen in Neuseeland legen keine Eier, sondern gebären lebende Junge, und die einzigen endemischen Säugetiere sind Fledermäuse, von denen eine Art über den Waldboden krabbelt und im Laub nach Insekten und Würmern gräbt. Vor der Ankunft der Menschen lebten über 130 Vogelarten auf der Insel, ein Viertel davon konnte nicht fliegen. Durch die von Darwin beschriebene radiative Adaption besetzten Vögel, wie der ausgestorbene Riesenlaufvogel Moa oder die beinahe pelzigen Kiwis, ökologische Nischen, die sonst von Säugetieren ausgefüllt sind. Die Absenz von Raubtieren, abgesehen von Greifvögeln, bedeutete aber leider, dass durch Menschen eingeschleppte Ratten oder eingeführte Säugetiere eine regelrechte Dezimierung oder gar Auslöschung einheimischer Tiere stattfand.

Tuatara

Das Naturschutzgebiet Zealandia bietet einheimischen Tieren und Pflanzen daher einen Zufluchtsort und sensibilisiert gleichzeitig die Bevölkerung für das Thema. Bei einer geführten Tour konnten wir zahlreiche Vögel mit klingenden Namen beobachten, beispielsweise den Kākā (Waldpapagei), der zwar den typischen Schnabel eines Papageien hat, aber braun-rotes Gefieder. Manche der Tiere flogen nur knapp über unseren Köpfen vorbei! Die Kererū (Maorifruchttaube) ist schon deutlich farbenfroher, das bunteste Farbenkleid der Parkbewohner weist aber die Takahē (Südinseltakahe) auf, eine flugunfähige Vogelart, die etwa fünfzig Jahre lang als ausgestorben galt, bis einige Exemplare wiederentdeckt und unter Schutz gestellt wurden. Sie wirkt von vorne schillernd grünblau, von hinten hingegen sieht sie eher braun aus.

Kaka
Takahē

Schlafend auf einem Ast entdeckten wir einen Ruru (Neuseeland-Kuckuckskauz), sehr viel aktiver waren dagegen die Tīeke genannten Südinsel-Sattelvögel, deren schwarzes Gefieder auf dem Rücken von einem breiten braunen Streifen durchbrochen ist. Einige Male präsentierte uns ein rastloser Pīwakawaka (Neuseeland-Fächerschwanz) seine prächtigen Schwanzfedern, und während wir uns nach oben spähend über den Waldboden bewegten, verfolgte uns ein kleiner Toutouwai (Südinselschnäpper), der sich durch uns aufgewirbelte Insekten schnappte. Einmal hatten wir auch das Glück, einen Tūī (Tuihonigfresser) zu Gesicht zu bekommen, und auch einen Hihi (Stichvogel) konnten wir beobachten.

Ruru
Toutouwai

Im und am Wasser zeigten sich Pāteke (Neuseelandente) und Kāruhiruhi (Elsterscharbe). In eigens dafür gebauten Schaukästen hatte sich ein Harem der Spezies Pūtangatanga (Wellingtonbaumweta) eingenistet, ein grosses nachtaktives Insekt, das bis zu 70 Gramm wiegen kann und sich vorwiegend von Blättern ernährt, aber auch Insekten nicht verschmäht.

Den Tag beendeten wir mit einem Spaziergang durch den riesigen botanischen Garten von Wellington. Um die Hauptstadt selbst etwas kennen zu lernen, machten wir eine Art Schnitzeljagd durch das Zentrum – leider war sie allerdings eher für ortskundige Einwohner konzipiert, sodass wir zeitlich nicht dazu kamen, alle Rätsel zu lösen. Ohne den gekidnappten goldenen Kiwi befreit zu haben, bestiegen wir die Fähre, die uns über die Cookstrasse zur Südinsel brachte. Dort zog der wunderschöne Queen Charlotte Sound an uns vorbei, der im Abendlicht dalag.

Queen Charlotte Sound

Nachdem wir uns in Picton am Morgen die Beine vertreten hatten, bestiegen wir am frühen Nachmittag einen weiteren Zug, den Coastal Pacific. Dieser führt nahe und an der Küste entlang und bietet tolle Ausblicke auf Land und Meer: Schon kurz nach der Abfahrt zogen die Weingärten des Marlborough District an uns vorbei, gefolgt von den Meersalzgewinnungsanlagen, in denen die berühmten Salzflocken gewonnen werden und deren Becken durch Algen pink gefärbt sind. Liebliche, aber trockene Landschaft begleitete uns, bis wir die Pazifikküste erreichten. Der vulkanische Sand war schwarz, das Meer hingegen leuchtete in allen erdenklichen Grün-und Blautönen. Als die Küste felsiger wurde, konnten wir sogar einige Neuseeländische Seebären im Wasser und auf den Steinen beobachten. Durch Wälder und Weiden entfernten wir uns wieder vom Ufer und querten mehrere verflochtene Flüsse. Bei dieser Form bildet sich bei Niedrigwasser ein verzweigtes Netz von Kanälen, deren Lage sich ständig durch Sedimentablagerung ändert. Das Flussbett ist relativ breit und uneben, was den Brückenbau im entsprechenden Gebiet zusätzlich erschwert.

Meersalzgewinnungsanlage
Pazifikküste

Am Abend erreichten wir dann Christchurch, die grösste Stadt auf der Südinsel. Wir verbrachten nur eine Nacht dort und schon am nächsten Morgen reisten wir per Bus weiter. Vorbei an Landwirtschaftsflächen mit langen Bewässerungsarmen fuhren wir durch zunehmend hügeliges Gelände grob in südwestlicher Richtung. Am Mittag erreichten wir den malerischen Lake Takapō, wo wir Zeit zum Essen und Entspannen hatten. Er befindet sich im weltweit grössten Dark Sky Reserve und es böte sich bei wolkenlosem Nachthimmel sicherlich ein grossartiger Blick auf die Milchstrasse: Hier befindet sich das am südlichsten gelegene Observatorium und das einzige in Neuseeland.

Lake Takapō

Unser Weg führte jedoch weiter, an Seen entlang und durch weite Hochebenen und Hügelland. Manchmal erhaschten wir einen Blick auf faltige Merinoschafe und ein Schild verkündete stolz, die Heimat der Kleider, die ich auf der Reise dabei habe, befinde sich hier. Mehr als einmal fühlte ich mich an Graubünden erinnert, ans Engadin etwa, auch, als wir in Queenstown ankamen. Die Stadt schmiegt sich ans Ufer des Lake Wakatipu und ist umstanden von Bergen. Einen davon, Bob's Peak, erstiegen wir und wurden mit einem herrlichen Panorama belohnt. Für den Weg hinunter nahmen wir die steilste Gondelbahn der südlichen Hemisphäre und machten uns einen gemütlichen Nachmittag mit Shopping, Spazieren, Sauna und Ausspannen in unserem wunderbaren Hotel.

Queenstown
René
hat geschrieben
Samstag, März 16, 2024
Tolles Programm! Ein weiteres Land, über das ich nun einiges mehr weiss als bisher.
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