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Bariloche

Bariloche

Sonntag, Dezember 31, 2023

Ein Flug über einen schier endlosen Flickenteppich aus Ackerflächen führte mich über das Häusermeer von Buenos Aires am Río de la Plata und von dort aus nach Bariloche im nördlichen Patagonien.

Da ich erst vor zwei Jahren Buenos Aires hatte besuchen dürfen, nachdem ich arbeitshalber in der gleichnamigen Provinz gewesen war, entschied ich mich bei dieser Reise gegen einen Besuch der Hauptstadt. Es hatte mir dort zwar sehr gefallen, aber ich wollte Neues für mich entdecken.

San Carlos de Bariloche verdankt seinen Namen zwei verschiedenen Ursprüngen: Der erste Teil bezieht sich nicht etwa auf einen Heiligen, sondern beruht auf dem Missverständnis eines englischen Pioniers in der Gegend. Er hatte einen Brief an den chilenischen Händler Carlos Wiederhold, der sich im heutigen Stadtkern niedergelassen hatte, mit der Anrede "San" statt "Don" adressiert. Der zweite Teil des Namens ist vom Mapuche-Wort "vuriloche" abgeleitet, was "Volk hinter dem Berg" heisst (aus der Perspektive einer Person in Chile ist der Ort ja auch hinter den Bergen). Die meisten Leute nennen die Stadt heute einfach nur "Bariloche".

Bariloche vom Flugzeug aus

In Bariloche angekommen, erlebte ich zwei Überraschungen: Erstens, mein Aufgabegepäck war nicht angekommen, glücklicherweise hatte ich aber fast alles Wichtige im Handgepäck. Zweitens, die "Tarjeta SUBE", die in Buenos Aires verwendete aufladbare Karte für den Nahverkehr, ist praktischerweise auch in Bariloche gültig. Schon in San Juan war mir das positiv aufgefallen, aber ich hatte die "Colectivos" nicht benutzt. Unterwegs in die Stadt unterhielt ich mich mit einer freundlichen Porteña, wie die Einwohnerinnen von Buenos Aires genannt werden, und bekam wertvolle Tipps für meinen Aufenthalt und die weiteren Reiseziele.

Nachdem ich noch vor dem Frühstück mein Gepäck wiederbekommen hatte, nahm ich einen Stadtbus nach Villa Catedral, der Talstation verschiedener Bergbahnen auf dem Cerro Catedral. Bariloche ist ein beliebter Wintersportort und deshalb unter anderem auch mit St. Moritz (Schweiz), La Massana (Andorra) und Aspen (USA) verschwestert. Meine Schritte führten mich über einen hervorragend unterhaltenen Wanderweg zum Refugio Frey, welches hübsch an der Laguna Tonchek liegt. Die Hütte ist nach dem argentinisch-schweizerischen Topographen Emilio Enrique Frey benannt, der am Technikum in Winterthur studiert und den Club Andino Bariloche mitbegründet hatte. Mit Schlafsack und Isomatte kann im Refugio übernachtet werden – ich aber stieg wieder ab ins Tal und schlief im Hostel.

Wanderweg zum Refugio Frey
Berg beim Refugio Frey

Um einen Wadenmuskelkater reicher, mietete ich mir am Folgetag ein Mountainbike, um den "Circuito Chico", die "Kleine Runde", in Angriff zu nehmen. Diese führt um den westlichen Teil des Lago Moreno und bietet zahlreiche schöne Aussichtspunkte. An einem davon konnten die verzückten Besucher sogar einen Andenkondor beobachten, der in geringer Höhe über deren Köpfe zog.

Lago Moreno
Aussicht auf Lagos Moreno und Nahuel Huapi
Andenkondor

Ein kleiner Abstecher führte mich zur Colonia Suiza, welche Ende des 19. Jahrhunderts von Auswanderern aus dem Unterwallis gegründet worden war. Einige der schmucken Häuschen sind auch tatsächlich als Chalets ausgeführt, auf mich wirkte es allerdings eher wie eine Europapark-Schweiz. Älplermakronen und dergleichen suchte ich leider vergebens, dafür gab es im Dorf Apfelstrudel, Handwerkskunst und eine Brauerei.

Colonia Suiza
Chalet in der Colonia Suiza
Restaurant Zurich

Der Weg schlängelte sich weiter zur Halbinsel Llao Llao, auf der das gleichnamige Fünfsternehotel steht. Seit der Eröffnung 1939 haben sich dort die Reichen und Schönen getroffen; Staatspräsidenten und namhafte Filmstars sind hier schon abgestiegen. Als Teil der Plebs genoss ich den Ausblick von der Zufahrtsstrasse her und hielt im nördlich gelegenen Lago Nahuel Huapi Ausschau nach Nahuelito, welcher der Legende nach im See leben soll. Es handelt sich dabei um einen Schwimmsaurier, der Behauptungen zufolge seit Anfang des 20. Jahrhunderts mehrfach gesichtet, fotografiert und sogar gefilmt worden sein soll. Wahrscheinlich suchte ich am falschen Ort, jedenfalls blieb mir dessen Anblick leider verwehrt.

Lago Nahuel Huapi
Lago Nahuel Huapi

Im Lago Nahuel Huapi erlangte die Insel Huemul zweifelhafte Bekanntheit, als der österreichische Physiker Ronald Richter nach Ende des Zweiten Weltkriegs dort ein Labor einrichtete. Er hatte unter dem Nazi-Regime am ersten Tokamak-Reaktor mitgearbeitet und behauptete vom Huemul-Projekt, ihm sei eine kontrollierte Fusionsreaktion gelungen. Nachdem das Projekt vom argentinischen Physiker José Antonio Balseiro untersucht und als Betrug entlarvt worden war, wurde auf dem Festland gegenüber ein Nuklearforschungszentrum mit einem auf Fission (Kernspaltung) basiernden Forschungsreaktor eingerichtet, das einen Teil der Instrumente übernahm. Heute hat das Instituto Balseiro ein weltweites Renommee in der Ausbildung und Forschung auf dem Gebiet der Nukleartechnik.

Bariloche wird aufgrund seiner pittoresken Lage am Rande der Berge und der Architektur besonders der älteren Gebäude gerne mit der Schweiz verglichen, und tatsächlich erinnert das Zentrum teilweise an einen Wintersportort in der Schweiz. Gerade jetzt, mit der Weihnachtsbeleuchtung, verstärkt sich dieser Eindruck noch zusätzlich.

La Marmite
Weihnachtsbaum
Weihnachtsbeleuchtung

Wahrscheinlich müsste nicht einmal Plüsch hier an Heimweh leiden: Berge, Schoggi, Wein, Wälder, Seen und Schnee sind hier alle vorhanden. In unzähligen Chocolaterías werden leckere Pralinen angeboten und werden kaufbereiten Besuchern auch gerne zum Probieren gegeben.

Schokolade in Bariloche

Mein Aufenthalt in Bariloche war, bedingt durch einige Planänderungen, nur von kurzer Dauer; schon nach drei Nächten machte ich mich wieder auf den Weg. Über 27 Stunden lang folgte der Omnibus der legendären Ruta Nacional 40 durch Patagonien, zunächst noch in Bergtälern, später über weite Steppen nach Süden. Freilandhaltung hat hier eine etwas andere Bedeutung als in Europa – auf riesigen Flächen weiden Rindviecher, Schafe und Pferde, manchmal richtiggehend idyllisch an einem mäandrierenden Fluss. Immer wieder lassen sich auch wilde Ñandus (in Südamerika heimische Laufvögel) und Herden von Guanakos beobachten, einmal sah ich sogar ein Gürteltier. In zwei Seen konnte ich zu meiner Verblüffung Chileflamingos sichten.

Guanakos
Ñandu

"Patagonien" bezeichnet ein riesiges Gebiet beidseits der Anden, welches in etwa die südliche Hälfte Argentiniens und Chiles einnimmt. Der Name geht zurück auf den portugiesischen Seefahrer Fernão de Magalhães (Ferdinand Magellan), der sich aufgrund der Grösse der Bewohner an die Erzählung über einen Riesen namens "Pathagón" erinnert haben soll. Häufig wird Patagonien mit den spektakulären, steilen Andengipfeln im Westen assoziiert, der wesentlich grössere Teil des Gebiets besteht jedoch aus abgestuften Hochebenen und Gebirgszügen, die karg bewachsen und sehr dünn besiedelt sind. Über hunderte von Kilometern gibt es kein Mobilfunksignal, lediglich die wenigen Dörfer bilden in dieser Hinsicht regelrechte Oasen. Um die entlegenen Gebiete mit Internet versorgen zu können, möchte Präsident Milei die Starlink-Technologie von Elon Musk ins Land holen, neben all den radikalen Reformen, die er, je nach Sichtweise, versprochen oder angedroht hat.

Patagonische Weite
Patagonische Weite

Die Absenz von Dörfern und entsprechend Lichtquellen bedeutet aber auch, dass der Sternenhimmel hervorragend zur Geltung kommt. Während der Fahrt konnte ich einige Sternbilder des Südhimmels ausmachen, wie das Kreuz des Südens, den Zentauren und das Schiff, abgesehen vom auch in Europa sichtbaren Orion. Der Mond allerdings, da hat Plüsch recht, ist hier tatsächlich ein anderer: Er ist steht auf dem Kopf und lügt deshalb darüber, ob er gerade ab- oder zunimmt.

P.S.: Ich wünsche allen ein frohes Neues Jahr! Dieser Beitrag sollte bereits am 31. Dezember erscheinen, die schwache Internetverbindung in El Chaltén liess aber nicht einmal das Öffnen dieser Webseite zu, geschweige denn das Hochladen von Inhalten.

Christiane
hat geschrieben
Samstag, Januar 6, 2024
Ich wünsche dir ein gutes neues Jahr und viel Spass in Patagonien sowie auf deiner weiteren Reise.
Raphaël Thierrin(...)
hat geschrieben
Montag, Januar 8, 2024
Hallo Dominik,<br />Ich wünsche dir ebenfalls ein gutes neues Jahr. Hier wird wieder gearbeitet. Da wünscht man sich ein Abenteuer wie deines! Wieder vielen Dank für die tollen Eindrücke.<br />Übrigens lügt der Mond auf Französich bei uns und sagt im Süden die Wahrheit. Croissant vs Décroissant. Deshalb gibt es das Sprichwort "menteur comme la lune". Finde ich immer ganz lustig.<br />Weiterhin wünsche ich dir eine gute, spannende Reise in guter Gesundheit und ohne Rückschläge!
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