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Bolivien

Bolivien

Donnerstag, Februar 8, 2024

Von San Pedro aus ging es frühmorgens los zur nahen bolivianischen Grenze. Das Ziel einer dreitägigen Tour durch die Wüste war die Stadt Uyuni am gleichnamigen Salar.

Noch bevor die Grenzposten öffneten, reihte unser Minibus sich ein in die Schlange der wartenden Fahrzeuge. Zusammen mit elf anderen Reisenden aus Europa, Brasilien und Venezuela wollte ich die schönen Seiten der Wüste entdecken. Der Minibus wäre für das Terrain ungeeignet gewesen, daher wurden wir, kaum in Bolivien angekommen, auf zwei Allradfahrzeuge verteilt. Unsere ersten Stopps waren nicht weit entfernt: Wir besuchten zwei Seen, welche ihre Färbungen den Mineralien am Grund verdanken. Weisses Borax wird bei Wind in der Laguna Blanca aufgewirbelt; blei-, magnesium- und arsenhaltige Verbindungen liegen in der Laguna Verde vor. Durch seismische Aktivität verändert sich in letzterer allerdings die Farbe, sodass sie bei unserem Besuch ihrem Namen nicht gerecht wurde. 

Durch trockene Landschaft ging es weiter zur Pampa Jara, welche besser bekannt ist als Desierto Salvador Dalí. Der spanische Künstler war zwar nie in Bolivien, aber die Landschaft erinnert an seine Bilder. Bei einem Bad in den Thermalquellen von Polques etwas nördlich dieser Wüste konnten wir uns mit grossartiger Aussicht entspannen, bevor es Mittagessen gab. 

Desierto Salvador Dalí
Termas de Polques

Weiter ging es zum auf 4'850 Meter über Meer gelegenen Geiser Sol de Mañana ("Sonne von Morgen"), wo mehrere Fumarolen vorhanden sind. In mehreren Löchern ist glucksender und schmatzender Schlamm zu sehen und auch olfaktorisch punktet die Gegend: Es riecht stark nach faulen Eiern (Schwefelwasserstoff). 

Geiser Sol de Mañana
Geiser Sol de Mañana

Den krönenden Abschluss des Tages bildete die Laguna Colorada ("Gefärbter See"), welche ihre Rotfärbung einer Algenart und Mineralstoffen verdankt. Hier leben ausserdem zahlreiche Flamingos, die grazil durch das flache Wasser staksen. 

Laguna Colorada
Flamingo in der Laguna Colorada

Mit den vielen Stopps und der Aussicht auf überraschend wechselhafte Landschaften fühlte es sich wie ein Roadtrip an, besonders, als wir unsere eigene Musik über die Lausprecheranlage abspielen durften. Während wir fröhlich und (in meinem Fall) falsch mitsangen, in Gedanken vielleicht bereits bei einer warmen Dusche oder dem Abendessen, blieb unser Fahrzeug plötzlich mitten im Nirgendwo stehen. Unser Fahrer Pedrito stieg aus und musste feststellen, dass das Getriebegehäuse undicht war und die Kupplung die zur Fortbewegung nötige Verbindung zwischen Getriebe und Motor nicht mehr herstellen konnte. Sprich, wir sassen in der Einöde fest. Glücklicherweise konnte Pedrito aber mit viel Einsatz, mitgeführtem Werkzeug und der Hilfe eines nachfahrenden Kollegen das Problem vor Ort beheben, während es bei auffrischendem Wind und untergehender Sonne immer kälter wurde und wir Fahrgäste uns ausmalten, wir müssten am Strassenrand campieren. Der funkelnde Sternenhimmel spannte sich bereits über uns, als wir endlich im Hostel in Villamar eintrafen. Uns war eine einfache Unterkunft versprochen worden, beim Eintreffen war ich allerdings positiv überrascht ob des Einzelzimmers in der gemütlichen Herberge. 

Am nächsten Morgen besuchten wir zunächst einige Gesteinsformationen, die mit ihrem Aussehen an den Fussball-Weltmeisterschaftspokal, an ein ruhendes Kamel oder einen schlafenden Dinosaurier erinnern. Eine Ansammlung ist auch als "Ciudad de Italia Perdida", verlorene Stadt Italiens, bekannt – mir zumindest leuchtete der Name nicht besonders ein, dennoch war es ein spannender Ort. Kurz vor Mittag erreichten wir die Laguna Misteriosa, deren Name darauf anspielt, wie seltsam es ist, mitten zwischen Felsen unvermittelt einen See zu finden. Bei solchen Oasen lassen sich jeweils dutzende, wenn nicht hunderte, von grasenden Lamas beobachten, die teilweise von ihren Besitzern hübsch geschmückt werden. Jetzt im Sommer sieht man auch zahlreiche Jungtiere, die erst vor Kurzem das Licht der Welt erblickt haben. 

Camello de Piedra & Dinodaurio Dormido
Laguna Misteriosa
Junge Lamas beim Ausruhen

Der Kontrast zwischen der struppigen Vegetation an den Orten, wo wenig Wasser fällt, und den vereinzelten wasserführenden Tälern ist immer wieder faszinierend. Im Cañón Anaconda schlängelt sich ein Bach durchs Tal, darumherum ist die Vegetation leuchtend grün, während oberhalb der Talsohle der rötliche Boden dominiert. Auch das Bofedal Sora, wo nur stellenweise Oberflächenwasser erkennbar ist, zeigt sich in einem Grün, von dem hunderte von Lamas und eine riesige Familie von Ñandus profitieren. 

Cañón Anaconda
Bofedal Sora

Schon am Abend des zweiten Tages erreichten wir den Rand des Salar de Uyuni und konnten dort den Sonnenuntergang erleben. Es handelt sich mit einer Fläche von 10'582 km² (ein Viertel der Schweiz!) um die grösste und höchstgelegene Salzpfanne der Welt. Sie entstand, als vor über 10'000 Jahren ein See, der Lago Tauca, austrocknete. Unter einer bis zu 30 Meter dicken Schicht aus Salz befindet sich eine Sole, die unter anderem Chloride von Lithium, Natrium, Magnesium und Kalium enthält. Die Lithiumvorkommen im Salar von ca. 5.4 Millionen Tonnen gehören zu den grössten der Erde, weshalb die bolivianische Regierung die Ausbeutung vorantreibt, mit dem Ziel, selbst leistungsfähige Akkus zu produzieren und nicht bloss das Rohmaterial zu liefern. Daneben wird im Salar auf fast archaische Weise auch Salz für den Haushaltsbedarf gewonnen.

Die Tourismusindustrie baut Blöcke von Salz ab, um Hotels daraus zu errichten, und auch wir durften in einem Salzhostel übernachten. Wände und Möbel sind in den Zimmern ganz aus Salz gefertigt, teilweise ist auch der Boden mit Salzkörnern bedeckt. Die Blöcke weisen Linien auf, welche jedes Jahr während der Regenzeit durch den Eintrag von Verunreinigungen entstehen – je dunkler, desto stärker sind die Regenfälle in den Bergen gewesen. 

Salzhostelzimmer

Spannenderweise nutzen Erdbeobachtungssatelliten die grosse und Licht reflektierende Fläche für die Höhenkalibrierungen ihrer optischen Systeme. Im gesamten, riesigen Salar beträgt die grösste Höhendifferenz weniger als einen Meter. Während der aktuellen Regenzeit bedeckt ein wenige Zentimeter dicker Film die Oberfläche und verwandelt den Salar in einen riesigen Spiegel, den man betreten und vorsichtig befahren kann. Wir standen frühmorgens auf, um den Sonnenaufgang zu beobschten – nach Osten hin war der Himmel bedeckt und es regnete, aber in Richtung Süden hatten wir ein herrliches Fenster. 

Spiegeleffekt im Salar de Uyuni

Stellenweise wirkt der Salar völlig eben, an anderen Stellen bilden sich hexagonale Strukturen, welche besonders schön anzusehen sind, wenn sie mit Wasser gefüllt sind. 

Strukturen im Salar

Aber auch die trockenen Gebiete haben ihren Reiz; so eine riesige, endlos wirkende Ebene sieht man sonst nirgends. Hier sind Distanzen schwer einzuschätzen, weshalb im Salar Fotos mit erzwungener Perspektive sehr beliebt sind. 

Salzebene
Erzwungene Perspektive

Gegen Mittag trafen wir in den Randquartieren von Uyuni ein. Traditionell ist der letzte Stopp dieser Tour der Zugfriedhof von Uyuni, wo rund hundert Dampflokomotiven und Waggons Korrosion und Diebstahl durch Schrotthändler ausgesetzt sind. Einst, ab Ende des 19. Jahrhunderts, transportierten sie Natronsalpeter und verschiedene Metalle an die chilenische Pazifikküste. 1940 brach dann die lokale Industrie zusammen, der Grossteil der Minen wurde geschlossen und die nicht mehr benötigten Züge auf Abstellgleisen ihrem Schicksal überlassen. Vom vormals wichtigen Verkehrsknotenpunkt aus fahren noch immer Güterzüge, der Personenverkehr wurde hingegen kürzlich eingestellt. 

Cementerio de Trenes

Nach dem Mittagessen verabschiedete ich mich von den Mitreisenden und von Pedrito. Ich hatte mir für eine Nacht ein Zimmer in einem ruhigen Hotel im Stadtzentrum gebucht und durfte mit Late-check-out sogar bis zur Abfahrt meines Nachtbuses um 22:00 Uhr des nächsten Tages bleiben. Diesen verbrachte ich damit, zu planen und Buchungen für den gesamten Februar zu tätigen. Üblicherweise plane ich nicht derart weit voraus, aber in diesem Fall war ich mir über die Wunschroute im Klaren und hatte mit einem seit Längerem gebuchten Flug ab Quito auch ein Enddatum für meinen Aufenthalt in Südamerika. Zwischendurch schlenderte ich über den Markt, an dem man nicht nur leckeres Essen und frische Lebensmittel, sondern eigentlich alles, was bei uns der Supermarkt bietet, erstehen kann. Andere Touristen waren kaum unterwegs, sodass ich zum ersten Mal in meinem Leben die Erfahrung machen durfte, mitten in einem Menschengewühl die grösste Person zu sein, und das mit lediglich 175 cm Scheitelhöhe! 

Markt in Uyuni

Per Nachtbus ging es weiter nach Sucre, der Fahrer nahm die Kurven schwungvoll und so erreichten wir schon um 4:40 Uhr, zwanzig Minuten vor der geplanten Zeit, unser Ziel. Ich wartete im Busterminal den Sonnenaufgang ab, bevor ich mein Gepäck ins Guest House brachte; zwar gilt Sucre als sehr sicher, aber jetzt, zur Karnevalszeit, seien viele Betrunkene auf den Strassen unterwegs, warnte mich eine Angestellte des Terminals. Am frühen Morgen begegnete ich allerdings fast niemandem, ich hatte die Altstadt quasi für mich. Nur einige Strassenverkäuferinnen mit ihren mobilen Verkaufsständen und einige der vielen Strassenkehrerinnen, deren leuchtend orange Kleidung im traditionellen Stil geschnitten ist, waren zu sehen.

Sucre ist als "Stadt der vier Namen" bekannt: Die Inka nannten die Gegend nach dem dortigen Volksstamm Charcas, die spanischen Stadtgründer lebten ihre Kreativität aus und nannten ihn Ciudad de la Plata de la Nueva Toledo ("Silberstadt des Neuen Toledo"). Das Silber wurde zwar im höher gelegenen Potosí abgebaut, das heute noch eine Bergbaustadt ist; dieses wurde aber, aufgrund der Transportwege, unter anderem auch namensgebend für den Río de la Plata und Argentinien. Mit den Unabhängigkeitsbestrebungen kam der Name Chuquisaca in Gebrauch, der schon in präkolumbianischer Zeit gebraucht worden war, und 1839 wurde die Stadt zu Ehren des Grossmarschalls Antonio José de Sucre umbenannt, dem Kommandanten der Patrioten in der entscheidenden Schlacht von Ayacucho und zweiten Präsidenten Boliviens. Ein Übername ist ausserdem "Ciudad Blanca de Suramérica" ("Weisse Stadt Südamerikas"), weil die Altstadt aus weiss getünchten Kolonialbauten besteht. Weil sie eine der besterhaltenen Beispiele spanischer Kolonialarchitektur darstellt, steht sie seit 1991 als UNESCO-Weltkulturerbe unter Schutz.

Ciudad Blanca de Suramérica
Innenhof der Casa de la Libertad
Innenhof der Casa de la Libertad

Als gegen neun Uhr Leben einkehrte, besuchte ich eines der wichtigsten Gebäude im Selbstverständnis der Bolivianer*innen: Die Casa de la Libertad, in der am 6. August 1825 die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet worden war (welche dort im Original zu sehen ist). Ausserdem ist interessanterweise die erste Flagge Argentiniens dort ausgestellt, weiss-hellblau-weiss und noch ohne Inti-Symbol im Zentrum; die Flagge war für die Vereinigten Provinzen des Río de la Plata entworfen worden, zu denen Bolivien eine Weile gehört hatte. Damals war das Gebiet noch als Alto Perú ("Oberperu") bekannt, aber schon wenige Tage nach der Unanbhängigkeit wurde es umbenannt zu Bolivien, in Anerkennung der Verdienste des grossen Simón Bolívar, der die Unabhängigkeitskriege der heutigen Staaten Venezuela, Kolumbien, Panama sowie Ecuador geführt hatte und auch in Peru und Bolivien involviert gewesen war. Ihm wurde die erste Präsidentschaft angetragen und er gab dem Land die erste Verfassung. Heute nennt es sich offiziell "Estado Plurinacional de Bolivia", Plurinationaler Staat Bolivien: 36 Ethnien und ihre Sprachen sind anerkannt, die bedeutendsten davon sind Quechua, Aymara und Guarani.

Casa de la Libertad

Durch die Stadt schlendernd stiess ich mittendrin auf den Zentralmarkt, auf dem bergeweise frische Lebensmittel, geflochtene Körbe und Heimelektronik angeboten werden. 

Zentralmarkt

Bei meinen Spaziergängen durch die hübsche bolivianische Hauptstadt gelangte ich auch zum Mirador de la Recoleta, von wo aus sich ein toller Blick auf das Häusermeer bietet. Hier entdeckte ich auch ein sehr spannendes Objekt, und zwar eine Sonnenuhr. Sucre befindet sich bei rund 19° Süd, also geografisch innerhalb der Tropen. Entsprechend verläuft die scheinbare Bewegung der Sonne gut zwei Monate im Jahr durch Süden, während sie in der übrigen Zeit mittags im Norden steht. Deshalb hat die Sonnenuhr zwei Anzeigen, eine gegen Norden und eine gegen Süden gerichtete. Da die Drehrichtung der Erde aber natürlich immer dieselbe ist, laufen die Schatten entgegengesetzt: Auf der nach Süden gerichteten Seite im Uhrzeigersinn, auf der nach Norden gerichteten im Gegenuhrzeigersinn (der Uhrzeigersinn entstand dadurch, dass die Uhrmacher in Europa die ihnen bekannte Drehrichtung der Schatten mit den Zeigern abbildeten). Aktuell wechselt die Sonne von der südlichen Himmelshälfte am Morgen gegen Mittag zur nördlichen, sodass im Tagesverlauf beide Zifferblätter verwendet werden.

Blick auf Sucre
Sonnenuhr

Auch vom Turm der Kirche San Miguel mitten in der Altstadt hat man einen hervorragenden Blick über die Dächer der Stadt. Er ist in ein Café umgebaut worden, das über steile Treppen vier Etagen bedient. In den Fenstern der obersten hängen noch die Glocken, die allerdings nicht mehr geläutet werden können. Ich hatte morgens um neun zum Preis einer heissen Schokolade den ganzen Turm für mich und konnte die Aussicht über die Dächer geniessen. À propos Frühstück: Die Brotsituation in Bolivien ist recht zufriedenstellend, man findet knuspriges Brot (teilweise sogar aus Vollkornmehl), Brötchen und Croissants.

Blick vom Mirador San Miguel

Ein kleiner Ausflug brachte mich an den Stadtrand, wo vor 35 Jahren in einem Kalksteinbruch tausende Spuren von zahlreichen Dinosaurierarten aus der Kreidezeit entdeckt wurden. Diese befinden sich auf einer schrägen Platte aus Sedimentgestein, welche durch die Andenfaltung steil aufgestellt worden ist. Das so genannte paläontologische Vorkommen von Cal Orck'o ist mit 70 m Höhe und 1 km Breite das grösste weltweit. Leider setzt dem lehmigen Gestein seit der Freilegung die Erosion zu, ein Teil der Platte ist durch Wassereintrag abgebrochen und hat eine darunter liegende Schicht freigelegt, in der sich weitere Spuren befinden. Das dortige Museum, das auch sehr sorgfältig gearbeitete lebensgrosse Modelle von Dinosauriern aus der Kreidezeit zeigt, versucht aktuell, die Spuren zu konservieren, unter anderem durch den Einsatz von Entwässerungsgräben im oberen Teil des Hangs. Auch in der Stadt sieht man viele Anspielungen auf die Dinosaurier, beispielsweise auf Verkehrskreiseln und im Parque Bolívar, wo ein Spielplatz mit Dino-Motto gebaut worden ist.

Dinosaurierspuren
Dinosauriermodelle

Sucre ist zwar de jure noch immer die Hauptstadt Boliviens, seit 1899 befinden sich dort jedoch nur noch der Oberste Gerichtshof und einige wenige Ministerien. Legislative und Exekutive sowie alle ausländischen Vertretungen befinden sich in der de facto Hauptstadt La Paz, dem nächsten Ziel meiner Reise. Wie an allen Busbahnhöfen Boliviens wurde ich mit lautem Geschrei empfangen; dutzende private Busgesellschaften buhlen um Kunden und preisen lauthals ihre Dienste an.

Busterminal von La Paz

Gleich am ersten Tag nahm ich an zwei Stadtführungen teil, die auf der Plaza Sucre neben dem Penal de San Pedro startete. Es handelt sich dabei um ein Untersuchungsgefängnis, in dem Straftäter auf ihren Gerichtstermin warten. Für ihre Zellen müssen sie Miete bezahlen, 500 Bolivianos (ca. 63 Franken) monatlich sind allerdings ein Schnäppchen mitten im Stadtzentrum, und sie dürfen sogar mit ihrer Familie einziehen. Fluchtgefahr besteht kaum, da in Bolivien bis zum Beweis des Gegenteils die Schuldvermutung gilt wird – eine Flucht käme einem Schuldeingeständnis gleich. Innerhalb des Gefängnisses gibt es verschiedene Arbeitsorte für die Insassen, wie beispielsweise eine Schreinerei oder eine Werkstatt; auch das Sicherheitspersonal wird gestellt. Es wird aber auch mit hier völlig legalen Coca-Blättern und entsprechenden Chemikalien hochreines illegales Kokain hergestellt, vor Ort verkauft oder in schmutzigen Windeln nach draussen geschmuggelt.

Plaza Sucre

Wir schlenderten über den Mercado Rodriguez, einen von vielen in der Stadt. Wenn man in La Paz lebt, sucht man sich unter den Marktfrauen – den Cholitas mit langen Zöpfen, zu kleinen Hüten und grossen Reifenröcken – eine "Casera", eine Art "Hauslieferantin", bei der man bestimmte Produkte ausschliesslich kauft und jeweils einen Schwatz hält. Die Loyalität wird einem mit einem kleinen Extra, der Yapa, belohnt. Hier findet man etwa dreihundert Arten von Kartoffeln, einige getrocknet und dadurch jahrelang haltbar.

Getrocknete Kartoffeln und Getreide

Nicht weit entfernt liegt der Mercado de Brujas, der Hexenmarkt, auf dem getrocknete Lamaföten und Lamababys, welche ein natürlicher Tod ereilt hat, angeboten werden. Zusammen mit anderen Ingredienzien werden diese bei Ritualen an Pachamama (Mutter Erde) von den Schamanen in oben El Alto geopfert, mit Blick auf die Berge. Daneben werden auch Glücksbringer, Amulette und Liebestränke verkauft. Auch wenn 70 % der Bolivianer*innen katholisch sind, bedeutet das längst nicht, dass der präkolumbianische Glaube verdrängt worden wäre, vielmehr hat eine Vermischung stattgefunden, der sich teilweise auch an den Fassaden der Gotteshäuser widerspiegelt. Auch auf dem Zentralfriedhof mit seinen langen Reihen von Gräbern und den jährlich wechselnden Graffiti ist dieser Synkretismus spürbar. 

Stand am Hexenmarkt
Zentralfriedhof
Zentralfriedhof

La Paz ("Der Friede"), vollständig Nuestra Señora de La Paz, erhielt ihren Namen nach der Wiederherstellung des Friedens nach einem Bürgerkrieg, den der Konquistador Gonzalo Pizarro angezettelt hatte. Seit 1827 gilt auch La Paz de Ayacucho als offizieller Name, was noch einmal die Bedeutung der oben erwähnten Schlacht untermalt. La Paz befindet sich in einem Talkessel des bolivianischen Altiplano, auf einer Höhe von 3'640 bis 4'150 m.ü.M. Sie ist damit die höchstgelegene Metropole der Welt – zusammen mit den umliegenden, mit ihr verschmolzenen Städten zählt sie 2.1 Millionen Einwohner. Um die Stadtteile besser miteinander zu verbinden, werden seit 2013 durch einen bekannten österreichischen Hersteller farbkodierte Gondelbahnen gebaut. Von vierzehn geplanten Linien sind bis jetzt zehn in Betrieb; das Netz ermöglicht eine aussichtsreiche Stadtrundfahrt und dient rund 200'000 Pendler*innen täglich der Fortbewegung. Auch den Sonntagsmarkt in der auf dem Altiplano gelegenen Stadt El Alto erreicht man über den Häusern schwebend bequem innerhalb weniger Minuten – der hiesige Sonntagsmarkt erstreckt sich über 400 Häuserblocks und ist damit weltweit der grösste.

Lichtermeer von La Paz

Von La Paz aus machte ich mit einem Bergführer eine Tagestour auf den als Pico Austria bekannten Chiarkollu ("Weisser Berg" in Aymara). Er befindet sich in der Cordillera Real, einer Hochgebirgskette der Anden, und ist atemberaubende 5'350 Meter hoch. Tatsächlich zu überwinden waren zwar nur rund 1'000 Höhenmeter, ich musste dennoch einige Verschnaufspausen einlegen. Bei gutem Wetter hätte man Aussicht auf den Titicacasee, allerdings hatte ich diesbezüglich kein Glück: In der Nacht hatte es geschneit und in der Ferne raubten dichte Wolken die Sicht. Dafür gesellten sich beim Mittagessen auf dem Gipfel zwei Greifvögel zu uns.

Blick vom Gipfel

Zum Abschluss meines Bolivien-Aufenthalts fuhr ich an den Lago Titicaca, den höchsten schiffbaren See des Erdballs auf 3'812 m.ü.M. Copacabana an seinem Ufer ist ein Stützpunkt der Marine des Binnenstaats Bolivien und gilt als der bedeutendste Wallfahrtsort des Landes. In der Basilika wird die Virgen Morena, die dunkle Jungfrau, als Schutzheilige des Sees verehrt. Jedes Wochenende lassen Pilger*innen aus Peru und Bolivien hier ihre Fahrzeuge von einem Mönch und einem Schamanen segnen. Ich hingegen bestieg im Hafen ein Boot zur Isla del Sol, der Sonneninsel. Den Inka und bereits Kulturen vor ihnen war die Insel heilig und es befinden sich mehrere Heiligtümer auf ihr, darunter der "Sonnentempel" Pilko Kaina im südlichen Teil.

Sonnentempel Pilko Kaika

Nach einer Übernachtung auf der ursprünglich Isla Titicaca ("Steinpuma") genannten Insel besuchte ich auch den Nordteil, wo sich die Ruinen von Chinkana und der heilige Fels befinden, welcher der Geburtsort des Schöpfergottes Viracocha und Ursprung des Inkareichs sein soll. Der Legende nach soll der Sonnen- und Regenbogengott Inti am Strand die ersten Inka, Manco Cápac und dessen Frau Mama Ocllo, aus Schaum geschaffen haben.

Ruinen von Chinkana

Christiane
hat geschrieben
Donnerstag, Februar 8, 2024
Bolivien scheint ja ein ganz spannendes Land zu sein.
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