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Die Turboprop-Maschine, die mich nach Dominica brachte, folgte dem inneren Bogen der kleinen Antillen, sodass ich vom Flugzeugfenster aus nacheinander die Britischen Jungferninseln, St. Kitts and Nevis, Montserrat, Antigua, Guadeloupe und die dazugehörige Insel Marie-Galante ausmachen konnte, bis schliesslich Dominica vor uns aufragte.
In meinem Bed & Breakfast angekommen, bot mir Noëmi, eine ebenfalls dort übernachtende französische Reisende, beim Abendessen an, am Folgetag auf ihre Tour zum Boiling Lake mitzukommen. Ich nahm dankend an und so fuhren wir noch vor Sonnenaufgang los, um in der Nähe der Hauptstadt Roseau unseren Führer zu treffen. Die ziemlich anspruchsvolle Wanderung führte zunächst durch den Regenwald auf einem gut unterhaltenen Weg bergan, wobei sich immer wieder grossartige Blicke auf Berge, Täler und Richtung Meer auftaten. Der 956 m hohe Gipfel des Morne Nicholls bildete den höchsten Punkt der Wanderung und bot einen fantastischen Ausblick zurück nach Roseau sowie über den Nationalpark Morne Trois Pitons, in dem wir uns befanden. Er war 1997 zum UNESCO-Weltnaturerbe erhoben worden. Ein Grossteil der rund 5'000 Pflanzenarten der Insel ist hier anzutreffen und zeigt alle erdenklichen Grünschattierungen.


Der Weg führte steil hinab ins Valley of Desolation, stellenweise mussten wir auch kraxeln. Dieses "Tal der Trostlosigkeit" ist geprägt von etwa 50 Fumarolen (vulkanische Dampfaustrittsstellen), heissen Quellen und entsprechenden wunderschönen bunten Ablagerungen. In der Luft liegt der Geruch von Schwefelwasserstoff. Unser Guide ermunterte uns dazu, das Gesicht mit warmem Schlamm einzureiben, und kochte in einer brodelnd heissen Quelle Eier für uns.

Anschliessend ging es hinauf zum Boiling Lake, mit 63 m Durchmesser der zweitgrösste kochende See der Welt. Diese Thermalquelle verdankt ihr Dasein dem Umstand, dass Dominica die weltweit höchste Konzentration potentiell aktiver Vulkane aufweist, 9 Stück bei einer Fläche von nur 751 km² (was etwas kleiner als der Kanton Solothurn ist). Die Insel ist übrigens die jüngste der kleinen Antillen, die alle durch vulkanische Aktivität entstanden sind.

Dominica ist aktuell vom Massentourismus noch verschont geblueben, was einerseits damit zu tun hat, dass keine Langstreckenmaschinen hier landen können, andererseits aber auch damit, dass nur wenige Strände vorhanden sind (dafür gibt es hier schwarzen vulkanischen Sand): Das Land ist bergig und zerklüftet, ca. 80 % der Küste ist Steilküste. Die meisten Besucher kommen mit Kreuzfahrtschiffen, von denen zwei in Roseau und ein kleines in Portsmouth anlegen können. Im Sinne einer Entwicklung und Diversifizierung der Wirtschaft versucht die Regierung seit einiger Zeit, den Tourismus zu fördern. Ein Grossprojekt ist der Bau einer Gondelbahn, der weltweit längsten, zum Boiling Lake. Die Details erfuhr ich von einem kanadischen Ingenieur, der mich auf dem Rückweg bis nach Roseau mitnahm. Um die möglichst vor Hurrikanen sichere Bahn mit spektakulären Ausblicken zu bauen, werden mindestens 50 Millionen US-Dollar investiert. Der Parkplatz soll bei der in zwei Jahren geplanten Eröffnung 3'000 Personen Platz bieten, hauptsächlich Passagieren von Kreuzfahrtschiffen. Anstatt einer mehrstündigen Wanderung in der Hitze wären nur 20 Minuten Fahrt in klimatisierten Kabinen nötig, um die Bergstation oberhalb des Boiling Lake zu erreichen. Es ist zu hoffen, dass die breite Bevölkerung vom erwarteten zusätzlichen Tourismus profitieren kann – und dass "The Nature Island" ihren wilden Charakter behält.

Am zweiten Tag erkundete ich die Gegend um das B&B in der Ortschaft Crayfish River. Ich bestieg den Horseback Ridge, ein Grat mit guter Aussicht, und ging hinunter nach Kalinago Barana Autê, einem Museumsschaudorf der Ureinwohner.
Die Kariben besiedelten von Südamerika her die Inselkette und nannten die Insel Wai'tukubuli, was "hoch ist ihr Körper" bedeutet und auf die Höhe der Berge verweist; es sind einige der höchsten der kleinen Antillen. Mit dem Nordostpassatwind kommend, sichtete Kolumbus das Land auf seiner zweiten Atlantiküberquerung und gab ihm einen vom Wochentag (Sonntag) abgeleiteten Namen. Aufgrund der unwirtlichen Küste legte er aber nicht an, sondern fuhr nach Norden weiter. Da sie als "Naturfestung" angesehen wurde und die Kariben unbeugsamen Widerstand leisteten, sahen die Spanier von einer Kolonisierung der Insel ab, obwohl sie direkt südlich des 16. Breitengrads lag, entlag dessen europäische Schiffe die Neue Welt von den Kanaren kommend ansteuerten, bevor Längengrade zuverlässig auf See bestimmt werden konnten. Dominica wurde denn auch als letzte karibische Insel kolonisiert, Handelskontakte mit den Einheimischen hatte es aber bereits gegeben. Frankreich und Grossbritannien kolonisierten ab 1690 abwechselnd die Inseln, obwohl noch 1660 ein Vertrag zwischen den beiden Kolonialmächten und den Kariben geschlossen worden war, der die Insel den Ureinwohnern überliess. Die Kariben (und entlaufene Sklaven) zogen sich ins schwer zugängliche Landesinnere zurück, wo die Besatzer sie nicht erreichen konnten. Von dort aus stellten sie mit Drohungen und Überfällen sicher, dass nur ein schmaler Küstenstreifen kolonialisiert werden konnte. 1763 überliessen die Briten den sich heute Kalinago nennenden Kariben ein Reservat am Meer zur Selbstverwaltung. Das zunächst winzige Gebiet wurde später zweimal vergrössert. Heute sind rund 2.9 % der gut 72'000 Dominicaner Kalinago, darunter auch die kürzlich gewählte Präsidentin. Das Land ist seit 1978 eine unabhängige Republik, dennoch lächelt die verstorbene Queen Elisabeth II. von den Banknoten des hier verwendeten Ostkaribischen Dollar, weil die übrigen Mitglieder dieser Währungsunion den britischen Monarchen (noch) zum Staatsoberhaupt haben.


Mein Gastgeber Kevin organisierte für mich am Sonntag eine Tour durch das Kalinago Territory, während der ich verschiedene Bewohner kennen lernen durfte und Einblick in ihre Lebensweise erhielt. Ich erfuhr viel über die Kultur, bekam einen Kurs zu Heilkräutern und durfte mich im Korbflechten und Samenketten herstellen versuchen. Ausserdem konnte ich eine der vielen Subsistenzfarmen besuchen und unter anderem frisch geschlagenes Zuckerrohr probieren, erhielt einen Kochkurs zu Cassavabrot und ass mit zwei Ratsmitgliedern, den spirituellen Führern, zu Mittag. Zum Abschluss fuhr mein Guide mich in den Norden der Insel, an den Red Rock, einer Felsformation an der Nordküste, von der aus Guadeloupe zu sehen ist.


Danach legte ich einen "Wasserfalltag" ein: Als eine der regenreichsten Gegenden der Welt und mit 365 Bächen oder Flüssen hat Dominica eine Vielzahl von Wasserfällen zu bieten, die schönsten davon sind touristisch erschlossen. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, per Anhalter und zu Fuss besuchte ich nacheinander den Emerald Pool, die Jacko Falls und die Spanny Falls. Ich hatte diese drei Orte für mich allein, schwamm im grünblauen, kalten Wasser und stellte mich unter das herabprasselnde Nass.



Auf gleiche Weise fuhr ich am Folgetag nach Portsmouth und zurück. Das Bussystem ist hier übrigens ähnlich wie dasjenige, das ich bereits von Jamaika her kannte, bloss mit dem Unterschied, dass die Minivans mit den Spitznamen der Fahrer beschriftet sind und nicht überfüllt werden. Besonders bei Fahrten ab den grösseren Städten ist dafür aller verfügbare Platz mit Einkäufen vollgestopft.
Portsmouth ist an einer geschützten Bucht auf der windabgewandten Westseite der Insel gelegen, das Land ist hier flacher und es hat sogar Sandstrand. Früher lebten hier die Kalinago, europäische Schiffe warfen nach den Strapazen der Überfahrt gerne Anker und trieben Handel. Nach der Kolonialisierung wurde die Halbinsel Cabrits befestigt, um den Hafen mit Kanonen zu schützen. Im Cabrits National Park können im Trockenwald die Ruinen der Kommandantenvilla besichtigt werden; Fort Shirley mit Blick auf die Bucht wurde dagegen liebevoll restauriert.

Im Anschluss an den Besuch des Forts liess ich mich den Indian River hinaufrudern. Dieser fliesst durch einen Mangrovenwald und bietet einer Vielzahl von Tierarten Lebensraum; ich konnte Leguane und verschiedene Fische und Vögel beobachten. Mit viel Aufwand wurden hier auch Szenen des zweiten Teils von "Fluch der Karibik" gedreht. Die Hütte der "Hexe" Tia Dalma wurde nach Abschluss der Dreharbeiten zurückgelassen, als kleine Attraktion und Erinnerung.
Auch die Kannibalenszene wurde auf Dominica gedreht. Die spanischen Seefahrer benannten nicht nur die gesamte Karibik nach den Kariben, sondern auch den Kannibalismus. Möglicherweise verstanden sie einige Rituale und Bräuche falsch, jedenfalls bestreiten die Kalinago, dass ihre Vorfahren je Menschen verspeist haben. Die Filmarbeiten mit der Wiederbelebung dieses Stereotyps sorgten dann auch für Kritik vonseiten der Kalinago, dennoch wirkten 150 von ihnen als Statisten mit und die Ratsmitglieder erzählten mir, sie hätten dafür gesorgt, dass zumindest die Kulissen und Dekoration authentisch waren.

Nach einem Wechsel ins Hostel in Roseau machte ich eine Wanderung zum Boeri Lake und zum Freshwater Lake. Beide liegen im riesigen Krater eines alten Vulkans, sind aber getrennt durch einen jüngeren Vulkan, Morne Micotrin, der ebenfalls im Krater entstanden ist. Im Freshwater Lake, der zur Energiegewinnung zusätzlich aufgestaut worden ist, ist Schwimmen erlaubt – und sehr erfrischend nach einer schweisstreibenden Tour!


An meinem letzten Tag nahm ich an einer Walbeobachtungstour teil. Im karibischen Meer vor der Westküste Dominicas ist der einzige Ort der Erde, an dem Pottwale das ganze Jahr über beobachtet werden können. Zeitweise sind auch verschiedene andere Wal- und Delfinarten zu sehen. Wir hatten das Glück, insgesamt vier Pottwale sichten zu können. Die Besatzung unseres kleinen Boots liess uns nach dem Tauchgang der Wale die Klicks hören, welche diese Spezies zur Verständigung verwendet und die wir vorher bei der Suche mit dem Hydrofon aufgefangen hatten.


Zum Abschluss fuhr ich an den Champagne Beach, wo aufgrund vulkanischer Aktivität Gase ins Meer austreten. Am Champagne Reef bilden sie Blasenschnüre, die beständig aufsteigen, wie in einem Sektglas. Es war ein fantastisches Erlebnis, an diesem Riff im kristallklaren Wasser zu schnorcheln und das Naturschauspiel bei bestem Wetter zu beobachten – nur leider konnte ich unter Wasser keine Bilder machen, die ich hier zeigen könnte.
