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Epilog

Epilog

Sonntag, Juli 7, 2024

Eine Woche ist es nun her, seit ich, nach einem eintägigen Aufenthalt in Singapur, in Zürich gelandet bin und damit den Kreis geschlossen habe. Ein Rückblick in Zahlen.

Innerhalb von 304 Tagen reiste ich per Schiff, Zug, Bus, Auto, Tuk-tuk, Motorradtaxi und Flugzeug um die Welt – rein von der zurückgelegten Distanz von rund 120'000 km hätte es allerdings für fast drei Umrundungen gereicht. Auch zu Fuss legte ich einiges an Distanz zurück: In diesen zehn Monaten waren es gemäss meinem Handy 4.77 Millionen Schritte, das heisst im Schnitt gut 17'000 pro Tag! Die Reise führte mich durch 22 Länder, durch fünf Kontinente, durch verschiedenste Klimazonen. Ich durfte dabei viele nette Menschen aus diversen Kulturkreisen kennen lernen sowie die örtliche Küche probieren. Unterwegs sah ich 34 UNESCO-Welterbestätten (Kultur, Natur und gemischt) und besuchte sechs Olympiastädte.

In meinem sonnenverwöhnten Jahr ohne Winter verbrauchte ich ganze zwölf Tuben Sonnencreme, wobei deren Grösse allerdings je nach Verfügbarkeit variierte. Meine vielen Erlebnisse, Eindrücke, Momente und Begegnungen hielt ich während dieser Zeit in 34'767 Bildern und Videos fest.

Herkulesaufgabe

Auch die 304 Nächte verbrachte ich sehr unterschiedlich:

  • auf dem Schiff: 8
  • im Nachtzug: 2
  • im Fernbus: 9
  • im Flugzeug: 4
  • im Schlafsaal eines Hostels: 145
  • im Privatzimmer eines Hostels: 13
  • in einem Hotel mit Gemeinschaftsbad: 12
  • in einem Hotel mit eigenem Badezimmer: 31
  • in einem Motel: 7
  • in einem Apartmenthotel: 14
  • in einer Ferienwohnung: 2
  • in einem Bungalow: 4
  • in einer Lodge: 4
  • in einem Bed & Breakfast: 15
  • in einem Guesthouse: 9
  • im Spital: 3
  • in einem Wohncontainer: 2
  • im Zelt: 19
  • in einer Glamping-Unterkunft: 1
Übernachtungen

Ich bezahlte in zwanzig verschiedenen Währungen, wobei ich Antillen-Gulden, die offizielle Währung in Sint Maarten, nicht eingerechnet habe, weil dort in der Praxis nur US-Dollar oder Euro verwendet werden. Eine Frage, die vor, während und nach der Reise viele interessierte, ist die nach den Kosten – ich habe nicht genau Buch geführt und kann sie deshalb nicht genauer aufschlüsseln, aber der Gesamtbetrag beläuft sich auf rund CHF 55'000. Doch wie heisst es so schön: "Travel is the only thing you buy that makes you richer."

Der nördlichste Punkt meiner Reise befand sich nahe bei Anchorage in Alaska, das ich auf dem Weg nach Japan überflog. Mit 60.70° blieb ich ausserhalb des Polarkreises, es blieb aber – Mitte Juni – noch sehr lange hell. Auf festem Boden war überraschenderweise London, schon am ersten Tag der Reise, die mit 51.55° am weitesten im Norden gelegene Destination. 

Am Strand der Isla Martillo in Argentinien erreichte ich den südlichsten Punkt meiner Reise. Die geografische Breite entspricht mit -54.91° zwar in etwa jener von Flensburg in Norddeutschland, die Temperaturen sind von der Polregion aber deutlich stärker beeinflusst, weil kaum Landmassen vorhanden sind, welche die starken Winde bremsen könnten, die vom Pazifik her wehen. Auch im Sommer sind die mittleren Temperaturen unter 10° C, mehr als 23° C übersteigt das Quecksilber höchst selten.

Wer die Erde umrundet, überquert dabei zwangsläufig alle Längengrade, daher ergibt es nur bedingt Sinn, den östlichsten oder westlichsten Punkt angeben zu wollen. Etwas poetischer ausgedrückt, und zwar in den Worten Antonio Pigafettas, eines der wenigen Überlebenden der ersten Weltumsegelung: "Nach Westen hin auslaufend, sind wir vom Osten her zurückgekehrt." Der Vollständigkeit halber seien hier aber die jeweiligen Extreme an Land aufgeführt: Hobbiton in Neuseeland war mit 175.68° der östlichste, die Crab Shack auf Vancouver Island der westlichste (-124.85°) Ort, wo ich Kontakt der Erdoberfläche hatte.

Historisch gesehen hatten diverse Meridiane eine besondere Bedeutung. Für Magellans Expedition entscheidend war freilich der am 7. Juni 1494 im Vertrag von Tordesillas definierte, der den Atlantik in einen portugiesischen (östlichen) und einen spanischen (westlichen) Bereich aufteilte. Nachdem der spanische König Karl I. seinen Anspruch auf die Molukken aufgegeben hatte, wurde am 22. April 1529 im Vertrag von Saragossa der "Gegenmeridian" im Pazifik präzisiert, sodass die ganze Welt von einer der beiden iberischen Nationen beansprucht wurde, noch weit bevor überhaupt alle Landmassen von Europäern erforscht waren. Interessanterweise zeigt sich diese Teilung in Südamerika heute noch: Fast alle Länder des Kontinents gehörten einst zum spanischen Weltreich, ein Teil des heutigen Brasilien lag aber tatsächlich östlich des vereinbarten Meridians (wobei die portugiesische Kolonie im Amazonasgebiet schon früh diese Grenze verletzte). 

Aufteilung der Welt

Für die Vermessung der Welt und die Erstellung von Seekarten war natürlich die Definition eines Nullmeridians entscheidend, von dem aus alle Längengrade ermittelt werden konnten. Lange verwendete jede Seefahrernation ihren eigenen Nullmeridian, meist ausgehend von ihrer jeweiligen Sternwarte in der Hauptstadt. Durch den zunehmenden internationalen Reiseverkehr wurde es allerdings notwendig, einen gemeinsamen Nullmeridian zu wälen, um Verwechslungen vorzubeugen. Am 13. Oktober 1884 einigten sich die teilnehmenden Länder an der Internationalen Meridian-Konferenz in Washington auf den Greenwich-Meridian, weil er auf damaligen Seekarten am meisten Verwendung fand, was gewiss der Royal Navy und ihren Erkundungsfahrten zu verdanken ist – man denke beispielsweise an James Cook, George Vancouver oder Robert Fitz Roy. Ungeachtet dessen hielt Frankreich bis 1911 an einem eigenen Nullmeridian fest, der durch Dan Browns Roman "Sakrileg" und die Verfilmung des Buchs eine gewisse Bekanntheit erlangte. 

Nullmeridian in Greenwich

Der alte Meridian der Vereinigten Staaten von Amerika ist indirekt heute noch zu sehen: Die von Norden nach Süden verlaufenden Grenzen der Staaten Wyoming, Colorado und Oregon befinden sich auf von Washington DC aus gemessenen Längengraden mit ganzzahligen Werten (beispielsweise ist die Ostgrenze Colorados bei 27° Amerikanischem West). 

Amerikanischer Nullmeridian

Schliesslich folgt die Internationale Datumsgrenze grob dem 180. Längengrad, wobei einige Anpassungen gemacht werden mussten, um keine der Inselnationen zu zerschneiden. Faszinierend ist dabei ja, dass sich beim Überqueren das Datum ändert, sodass bei einem Transpazifikflug, je nach Reiserichtung, sehr kurze oder besonders lange Tage erlebt werden können. Ich überquerte diese imaginäre Linie gleich dreimal: 

  1. Beim Flug nach Auckland um ca. 01:25 Uhr Ortszeit. Da die Route über die komplizierte Kiribati-Ausbuchtung führte, könnten wir auch mehrmals zwischen den Daten hin- und hergesprungen sein. Jedenfalls war der 5. März 2024 mit weniger als sechseinhalb Stunden sicher der kürzeste Tag meines Lebens. 
  2. Beim Flug zurück in die USA (und weiter nach Panama) war ich etwa um 13:55 Uhr im Bereich der Internationalen Datumsgrenze, wobei auch hier streng genommen mehrere Wechsel stattgefunden haben dürften. Den 24. März erlebte ich doppelt, und insgesamt dauerten sowohl der 24. als auch der 25. März 2024 für mich etwa 34 Stunden. 
  3. Den letzten grossen Sprung in der Zeit machte ich um ca. 14:25 Uhr über der Beringsee. Der 16. Juni dauerte für mich zwanzigeinhalb Stunden, der 17. Juni 2024 zwölfeinhalb.
Internationale Datumslinie

Ein weiterer Moment, der für mich besonders war: Am 21. Dezember 2023, also am Tag der Sonnenwende, befand ich mich in Argentinien am Wendekreis des Krebses und hatte entsprechend das Erlebnis, dass die Sonne direkt senkrecht über mir im Zenit stand. Beim Monument, das auf der Linie errichtet ist, habe ich komplett vergessen, ein Erinnerungsfoto zu schiessen, weil ich so damit beschäftigt war, den anderen Teilnehmern der Tour zu erklären, warum nicht am Mittag (12:00 Uhr), sondern um 13:20 Uhr der Höchststand der Sonnenbahn erreicht werden würde. Dank Adrian aus Österreich habe ich dennoch ein "Beweisfoto" am Monument, als ich einen Screenshot der Koordinaten machte. Drei weitere Male stand die Sonne später nochmals senkrecht über mir: Am 13. Februar in Cusco, am 13. April unterwegs in Costa Rica und am 29. April in Antigua Guatemala (dort sogar wirklich genau zur Mittagszeit, weil Antigua auf dem 90. westlichen Längengrad liegt und die Zonenzeit, UTC - 6, der mittleren Sonnenzeit entspricht).

Wendekreis des Krebses

Auch den Äquator überquerte ich mehrmals, zuerst am 6. Dezember 2023 auf dem Weg nach Paraguay, danach nördlich von Quito, als ich eine Vielzahl von Äquatormonumenten besuchte. Erst als GPS aufkam, stellte man fest, dass der Äquator, ebenso wie der Nullmeridian in Greenwich, in der Vergangenheit nicht ganz genau bestimmt worden war, sodass alle Touristen, die breitbeinig über der historischen, am Boden markierten Linie stehen, eigentlich mehr als hundert Meter neben dem Äquator bzw. dem Nullmeridian stehen. Dank meinem Handy fand ich die richtigen Orte aber dennoch 😉.

Äquatormonument
Äquatormonument

Den tiefsten Punkt meiner Reise bildete übrigens der Ärmelkanaltunnel, der an der tiefsten Stelle wortwörtlich 115 Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Die höchste Stelle an Land war der Gipfel des Pico Austria in Bolivien, 5'350 Meter über Meer. In der Luft war ich natürlich noch etwas höher und bei einer Flughöhe von rund 11'000 m.ü.M. war ich bei der Überquerung des Äquators auf dem Weg nach Neuseeland und zurück aufgrund der abgeplatteten Form der Erde am weitesten vom Erdmittelpunkt entfernt.

Immer wieder erhielt ich unterwegs "Grüsse ans andere Ende der Welt" –und fragte mich, wie weit ich davon tatsächlich entfernt war. Wenn man sich einen Globus anschaut, wird man nämlich feststellen, dass die Antipoden der meisten Landmassen im Meer liegen, sehr selten gibt es eine Entsprechung auf festem Boden. Genau genommen trifft dies bloss auf 4.4% der Erdoberfläche zu.

Antipodenkarte

Der Gegenpol der Schweiz liegt ebenfalls im Meer, die nächste Landmasse ist Neuseeland. Während der Reise kam ich etwas näher an ein Antipodenpaar heran, und zwar während der Fahrt mit der Queen Mary 2. Die am Erdmittelpunkt punktgespiegelte Entsprechung von Mossburn in Neuseeland war dabei nur etwa 480 km entfernt.

Neuseeland punktgespiegelt

Sogar noch näher an ein Antipodenpaar kam ich in Singapur und Ecuador heran. Würde man von Singapur aus einen Tumnel senkrecht nach unten graben, der auf wundersame Weise durch den Erdkern verliefe, würde dieser bloss 132 km vom Naturschutzgebiet Cuyabeno im ecuadorianischen Amazonasgebiet enden. Das ist eine Distanz, die kleiner ist als die Luftlinie von Zürich nach Bellinzona!

Singapur punktgespiegelt

Ich darf mich glücklich schätzen, auf der Reise kaum in gefährliche Situationen geraten zu sein; ich wurde weder ausgeraubt noch anderweitig bedroht. Auch durch Diebstahl kam gottlob nichts abhanden. Nur einige wenige Gegenstände brachte ich nicht nach Hause zurück: 

GegenstandOrtBemerkung
AnzugNew YorkGespendet
WandersockenMontego BayVon einem Hund im Hostel stibitzt und versteckt
Korrigierte SchwimmbrillePuerto RicoBei einem Ausflug vergessen
Korrigierte SonnenbrilleSint MaartenBeim Baden verloren
KarabinerBariloche und QuitoBeim Transport im Flugzeug vom Rucksack abgerissen
SportschuheLa PazErsetzt
SchlarpenUshuaiaErsetzt
T-ShirtSan Pedro La LagunaNach dem Waschen durch das Hotelpersonal nicht zurückerhalten
MikrofasertücherGuatemala und Las VegasBeim Fotografieren verloren
WanderschuheCalgaryEntsorgt

Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Reise machen durfte und gesund und munter wieder zurückgekommen bin. Einen nicht unerheblichen Anteil daran hatten Sergio und sein Team sowie die Equipe der örtlichen Klinik in der Dominikanischen Republik – ¡Gracias! Mein Dank gilt insbesondere Eva für die Geduld und Unterstützung – besonders schön war für mich, dass wir in Neuseeland einen Teil der Reise gemeinsam machen konnten. Weiter bedanke ich mich bei meiner Arbeitgeberin, der Eurofins Qualitech AG, meinen Vorgesetzten und Kollegen, dass ich für so lange Zeit gehen und dann wieder zurückkommen durfte. Meinem Papi bin ich dankbar dafür, dass er mir den Rücken freigehalten hat, indem er nicht nur meine Post durchgesehen und sortiert, sondern auch die Wohnungsübergabe mit meinem Untermieter durchgeführt hat. Auch meinem Untermieter Johan selbst bin ich dankbar dafür, dass die Vermietung so einfach und unkompliziert war. Und schliesslich danke ich allen Freunden, Bekannten und Verwandten, die mich auf dieser Reise unterstützt, den Blog gelesen oder mir aus der Ferne geschrieben und an mich gedacht haben.

Götti Hansjörg
hat geschrieben
Sonntag, Juli 7, 2024
Wow - Lieber Dominik, vielen Dank für diesen wunderbaren Block. Ich habe alle Beiträge mit grosser Freude, Interesse und Vergnügen gelesen. "Reisen ist besonders schön, wenn man nicht weiss wohin es geht, aber am aller schönsten, wenn man nicht mehr weiss, woher man kommt (Laozi, 6. Jahrhindert v. Chr.).
Dominik
hat geschrieben
Sonntag, Juli 7, 2024
Danke! Das ist ein sehr treffendes Zitat :)
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