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Guatemala

Guatemala

Mittwoch, Mai 1, 2024

Nachdem ich in meiner letzten Nacht in Costa Rica die Wassersparmassnahmen in der Hauptstadt kennen gelernt hatte, flog ich gen Norden, nach Guatemala.

Am Flughafen La Aurora wurde ich schon erwartet: Lucy, die ich vom Verein El Tipico her kenne, war Ende 2020 mit ihrem Mann und ihren Kindern nach Guatemala ausgewandert. Auf dem Weg nach Antigua tauschten wir uns aus und ich bekam Tipps, welche guatemaltekischen Spezialitäten ich ausprobieren sollte und welche Wendungen des hier sehr höflichen Spanisch ich verwenden konnte.

Hostel in Antigua

Mein wunderbares Hostel lag zentral in der grossen Altstadt, deren Gebäude im barocken Kolonialstil seit 1979 Teil des UNESCO-Weltkulturerbe sind. Ursprünglich wurde der Ort als dritte Hauptstadt des Generalkapitanats Guatemala, welches die spanischen Kolonien Zentralamerikas umfasste, 1543 gegründet, nachdem die erste ständigen Angriffen der Indigenen ausgesetzt gewesen und die zweite einer Schlammlawine zum Opfer gefallen war. Der Name dieser drei Orte war jeweils "Santiago de los Caballeros de Goathemala" ("Heiliger Jakob der Ritter von Goathemala"), wobei König Philipp II. 1566 klarstellen liess, dass es sich, wie übrigens bei überraschend vielen Städten in den ehemaligen spanischen Kolonien, um eine "sehr ehrwürdige und treue" handelte. Aber auch diese, umgeben von Bergen und drei Vulkanen im Valle Panchoy zwar schön gelegene, sollte zugunsten der aktuellen Hauptstadt, Ciudad de Guatemala, aufgegeben werden: Nachdem allein im 18. Jahrhundert drei schwere Erdbeben grosse Schäden an den Gebäuden verursacht hatten, verliessen ab 1774 die weltlichen Autoritäten und bis 1784 alle kirchlichen, die vollständig zerstörte Stadt, die in der Folge (La) Antigua (Guatemala), das Alte Guatemala, genannt wurde. Trotz immer wieder auftretender Erdbeben, die aufgrund von Bewegungen zwischen der nordamerikanischen und der karibischen Platte oder durch vulkanische Aktivität entstehen, wurde die Stadt nie aufgegeben. Nach der Unabhängigkeit von Spanien und einer kurzen Zugehörigkeit des Landes zum ersten Kaiserreich Mexiko wurde Antigua 1825 Departements-Hauptstadt.

Capitanía
Meerjungfrauenbrunnen

Einen ersten Eindruck von Antigua erhielt ich, als ich Lucy bei einigen Besorgungen begleitete. Besonders der grosse Markt ist faszinierend: Nicht nur leckere frische Früchte und knackiges Gemüse werden hier feilgeboten, sondern auch Kleider, Schuhe, Kunsthandwerk und Haushaltswaren. Die Marktfrauen tragen hübsche, farbenfrohe Kleidung und wägen ihre Waren interessanterweise in Unzen und Pfunden ab.

Auf dem Markt

Auf einigen weiteren Spaziergängen durch das für spanische Stadtplanung typische Schachbrettmuster, einmal auch im Rahmen einer Free Walking Tour, entdeckte ich verschiedene Facetten von Antigua. Während ihrer Blütezeit bildete sie, wie Lima und Ciudad de México in ihren jeweiligen Vizekönigreichen, das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Zentralamerikas. Hier standen die dritte Universität in Amerika, mehrere Krankenhäuser, zahlreiche Gotteshäuser sowie Konvente und Klöster aller namhaften Orden. Von vielen Sakralbauten stehen heute nur noch Ruinen, von denen ich einige besucht habe.

Ermita San Jeronimo
Convento de la Merced

Von der ehemaligen Kathedrale an der Plaza Principal ist die Fassade noch vorhanden, und es befindet sich auch eine kleine Kirche in den Gemäuern – es mutet allerdings etwas seltsam an, dass das Kirchenschiff im ursprünglichen Eingangsbereich verläuft, quer zum pompösen Hauptportal und unüblicherweise in Nord-Süd-Richtung orientiert. Die ursprünglichen Dimensionen des Gebäudes lassen sich dahinter noch erahnen, wo die mächtigen Pfeiler in den Himmel ragen. Die wohl bekanntesten Gebäude der Stadt sind die allesamt eidottergelb gestrichenen Gebäude Tanque de la Unión, ein öffentlicher Brunnen mit einer langen Reihe von Becken, in denen früher Wäsche gewaschen wurde; die Kirche La Merced mit ihrer prächtigen Fassade und der Arco de Santa Catalina, eine bogenförmige Brücke, welche es den Nonnen des dortigen Klosters ermöglichte, ohne Kontakt zu Aussenwelt von einem Häuserblock zum anderen zu wechseln.

Antigua Guatemala
Arco de Santa Catalina

Die Republik erbte ihre Bezeichnung vom Namen der früheren Hauptstadt, wobei es für die Herkunft von "Guatemala" (beziehungsweise "Goathemala") diverse Theorien gibt. Häufig wird angenommen, es handle sich um die spanische Schreibweise eines Náhuatl-Wortes, mit dem die mexikanischen Hilfstruppen des Konquistadors Hernán Cortés den Ort bezeichneten und welches "Ort vieler Bäume" bedeutet. Und wahrhaftig rahmen die grünen Hänge die Stadt noch heute ein, wie ich besonders beim Blick vom Cerro de la Cruz, einem hübschen Aussichtspunkt mit namensgebendem Kreuz, feststellen durfte. Überhaupt ist die Stadt selbst hübsch begrünt; die für die Kolonialarchitektur typischen Innenhöfe lassen sich in zahlreichen lauschigen Restaurants und Hotels entdecken.

Antigua Guatemala
Innenhof

Bei einem Ausflug in die Umgebung liess ich das Kopfsteinplaster und die bunten Häuser für ein paar Stunden zurück und besuchte die Kaffeeplantage La Azotea. Bei einer Führung über das Anwesen, auf dem seit Anfang des 20. Jahrhunderts Kaffeebohnen angebaut, von Hand gepflückt, gewaschen, fermentiert, getrocknet und geröstet werden, erfuhr ich viel Wissenswertes über den Prozess. Zum Beispiel, dass die Pflanzen in den ersten Lebensjahren noch etwas zickig sind und erst mit dem Alter eine zuverlässige Qualität liefern, oder dass es weibliche und männliche Bohnen gibt, die sich geschmacklich unterscheiden, wobei beim Endprodukt über hundert Aromen zusammenspielen. Ausserdem, dass ein Strauch jährlich eine Menge Kaffeebeeren (bzw. darin enthaltene Bohnen) hervorbringt, welche für etwa 30 bis 40 Tassen des braunen Getränks genügt. Sogar als jemand, der sonst keinen Kaffee trinkt, konnte ich unter fachkundiger Anleitung die am Ende offerierte Kostprobe durchaus geniessen.

Kaffee-Kirschen
Kaffeeröstung

Eine Tagesreise mit dem Bus brachte mich durch wechselnde Vegetation in tiefere Lagen und in ein deutlich heisseres Klima. Unterwegs fuhren wir weniger als 200 Meter an der Grenze zum kleinen Nachbarland Belize vorbei, mit dem sich Guatemala seit über zwei Jahrhunderten um die Grenzziehung streitet. Ziel meiner Reise war das farbenfrohe Flores, eine Stadt, die auf einer Insel im Lago Petén Itza liegt und über einen Damm mit seinen Vororten auf dem Festland verbunden ist. Flores ist der Ausgangspunkt verschiedener Touren in einige der Maya-Ruinen auf dem guatemaltekischen Teil der Yucatan-Halbinsel; in dieser Gegend liegt die Wiege jener Kultur. Ich hatte mich für zwei Ausflüge entschieden: Einen in den nur wenig besuchten Parque Nacional Yaxhá-Nakum-Naranjo und einen in den deutlich bekannteren Parque Nacional Tikal mit den Ruinen eines der mächtigsten Maya-Königreiche.

Am Mittag ging es los, der Minivan rumpelte über die unebenen Strassen zum Besucherzentrum von Yaxhá. Diese Stadt beherrschte einst ein grosses Gebiet, wurde aber zum Ende der mesoamerikanischen Klassik im 10. Jahrhundert aufgegeben. Ein Teil der Bevölkerung dürfte ins nahe Topoxte gezogen sein, das auf einer Insel in der Laguna Yaxhá liegt und bis ins 15. Jahrhundert bewohnt gewesen ist. Wir besuchten jene Ruinen als erstes, was sicherlich ein sanfter Einstieg in diese vergangene Hochkultur war. Ein Palast, ein kleineres Gebäude und ein Tempel sind hier freigelegt und restauriert worden, einige weitere Gebäude lassen sich unter der Vegetation noch erahnen. Der Dschungel eroberte den Ort mit der Zeit zurück und wenn keine mündliche Überlieferung über die historischen Stätten fortgelebt hätte, wären diese im unzugänglichen Dickicht wohl sehr schwer wiederzufinden gewesen. Dank moderner Technik ist es heute möglich, den Waldboden aus der Luft zu scannen und Gebäudereste unter der Vegetation ausfindig zu machen, was zu zahlreichen neuen Entdeckungen geführt hat – tatsächlich freigelegt wird aus Kostengründen allerdings nur ein Bruchteil der Ruinen.

Topoxte
Überwachsene Ruine

Der eher kleine Tempel in Topoxte mit seinen steilen Stufen beeindruckte mich schon sehr – aber er war noch nichts im Vergleich zur Anlage in Yaxhá. Am Hauptplatz stehen sich astronomische Zwillingspyramiden gegenüber, die von einem Palast flankiert und von einem Tempel überragt werden. Über den Baumkronen trohnt dessen höchste Plattform, und es bietet sich ein hervorragender Blick ins Umland des zweitgrössten Nationalparks Guatemalas. Mit seinen diversen Ökosystemen spielt dieser eine wichtige Rolle beim Schutz verschiedener Tierarten. Einige davon konnten wir beobachten und besonders hören, als wir zum Abschluss den Sonnenuntergang von der Spitze des Tempels der roten Hände aus beobachteten, des höchsten der Stadt. Die Guides baten alle Besucher, das Ende des Tages in Stille zu geniessen, was das Erlebnis noch spezieller und eindrücklicher machte.

Pyramide in Yaxhá
Sonnenuntergang in Yaxhá

Der folgende Tag begann sehr früh: Schon vor drei Uhr startete meine Sonnenaufgangstour nach Tikal, das zusammen mit dem gleichnamigen Nationalpark ein UNESCO-Welterbe ist, übrigens das erste gemischte (Natur und Kultur). Etwas unheimlich war es schon, in der Dunkelheit durch den Park zum Tempel der zweiköpfigen Schlange zu gehen, begleitet vom lauten Gebrüll der Affen und der Warnung des Guides vor (einköpfigen) Schlangen, die um diese Urzeit besonders aktiv sind. Die Mühe lohnte sich aber: Auch hier waren wir zu Stille angehalten, sodass die morgendliche Kakophonie des Dschungels eine würdige Untermalung des Spektakels war. Gen Osten waren vor dem Farbband die Spitzen mehrerer Tempel sichtbar und darüber hinaus einige bewaldete Erhebungen, bei denen es sich ebenfalls um zugewucherte Gebäudekomplexe handelt. Über 12'000 Bauten wurden in und um Tikal identifiziert, von denen aber nur eine kleine Auswahl ausgegraben wurden.

Sonnenaufgang in Tikal

Wir besuchten verschiedene Plätze, um die sich die drei erhaltenen Gebäudetypen aus Kalkstein gruppierten:

  • Tempel, die zwar wie Pyramiden gestuft sind, aber nur von einer Seite bestiegen werden konnten und von dessen Schrein aus ein Sprecher dank geschickter Schallverstärkung auf dem Platz problemlos gehört wurde;
  • Pyramiden mit Stufen in alle vier Himmelsrichtungen – die Bauten dienten der Beobachtung der Gestirne zu astrologischen und astronomischen Zwecken;
  • Paläste, die von den rund 40 % Adeligen der Maya-Gesellschaft bewohnt wurden.

Ausserdem lassen sich die gepflasterten Wege und Plattformen erahnen, auf denen alle wichtigen Gebäude errichtet worden sind – dies war auch deshalb nötig, weil sich der Stadtstaat in einem Sumpf befand. Vereinzelt sieht man auch die in Mesoamerika verbreiteten Ballspielfelder, die nicht nur rituellen Zwecken gedient haben, sondern auch dem Zeitvertrieb. Die Gebäude der einfachen Bevölkerung bestanden aus Holz und haben die Jahrhunderte nicht überdauert.

Mehrere Ruinen dürfen bestiegen werden, wobei teilweise hölzerne, weniger steile Treppen mit Geländer zur Verfügung stehen. Die Aussichtsplattformen boten nicht nur eine hervorragende Aussicht, sondern ermöglichten auch das Beobachten verschiedener Tiere, wie beispielsweise Guatemala-Brüllaffen, Geoffrey-Klammeraffen, Rotschwanzamazonen, Braunhäher, einen Schieferschwanztrogon und einen wunderschönen Regenbogentukan.

Tempel V
Tempel I (Gran Jaguar)
Palast in Mundo Perdido

Die Hochkultur der Maya hatte die am weitesten entwickelte Schrift Mesoamerikas, und dank Inschriften in diversen Altären und Stelen, die militärische Siege und politische Veränderungen dokumentieren, ist relativ viel über die Zivilisation bekannt. Interessanterweise sind sogar die ähnlich genutzten und in den Tempeln verbauten Türsturzbalken aus Zapoteholz erhalten und in verschiedenen Museen weltweit ausgestellt. Sieben Fragmente davon, aus dem Tempel der zweiköpfigen Schlange, befinden sich übrigens im Museum der Kulturen in Basel. Auch in Mathematik brillierte die Zivilisation, als erste weltweit verwendete sie die explizite Null und rechnete in einem Zwanzigersystem mit sehr hohen Zahlen, insbesondere im Kontext des berühmten Kalenders (lange Zählung). 

Nachdem ich einen gemütlichen Nachmittag auf der Hotelterrasse mit dem Verfassen der ersten Hälfte dieses Texts zugebracht hatte, bestieg ich am Abend den Nachtbus in Richtung Hauptstadt. Von dort ging es direkt weiter nach Panajachel, dem wichtigsten Verkehrsknoten des Lago de Atitlán, welchen der weitgereiste Alexander von Humboldt einst den schönsten See der Welt genannt hatte. Den grössten Teil des Tages ruhte ich mich im Hotel aus, spazierte aber auch durch das Dorf mit den vielen Restaurants, Souvenirläden und Reiseagenturen. Vor den aggressiven Strassenhändlern war ich bereits gewarnt worden, liess mich aber dann doch zum Kauf eines Tischtuchs überreden. Besonders am Morgen fielen mir dann die wahren Rudel von Strassenhunden auf, die den Ort bevölkern.

Lago de Atitlán

Der See entstand in der Caldera eines Supervulkans, der vor rund 85'000 Jahren in einer gewaltigen Explosion seine Magmakammer entleerte; Aschespuren davon können heute noch in Gesteinsschichten in Florida und Ecuador nachgewiesen werden. Die Flanken des Vulkans wurden in der Folge instabil und stürzten ein, die Vertiefung füllte sich mit Wasser und Sedimenten. Der tiefste See Mittelamerikas ist umstanden von Bergen der Sierra Madre und den "Tres Gigantes" ("drei Riesen") genannten jüngeren Vulkanen Atitlán, San Pedro und Tolimán. Vor rund 3'000 Jahren befand sich die Maya-Stadt Sambaj auf einer Insel im See, die inzwischen untergegangen ist. Archäologen und Sporttaucher gleichermassen schätzen das relativ klare Wasser – die Wasserqualität hat allerdings seit den 1950er-Jahren abgenommen, bedingt durch Bevölkerungswachstum, zunehmenden Tourismus und unzureichende Aufbereitung von Abwässern der umliegenden Siedlungen. Die Verschmutzung des abflusslosen Sees ist besonders für die indigene Bevölkerung ein Problem: Nicht nur als Nahrungsquelle dient er, sondern auch zum Baden und Kleider waschen. Tatsächlich konnte ich direkt von Balkon meines Hotels beobachten, wie die Maya-Frauen hüfthoch im etwa 20 °C warmen Wasser standen und betonierte Waschbretter verwendeten, um die Wäsche zu scheuern.

Wäsche waschen im See

Die vielen Dörfer, die am 130 km² grossen See liegen, sind untereinamder teilweise mit Strassen verbunden, es gibt aber keine Möglichkeit, den See zu umrunden. Daher existieren es Fährdienste mit kleinen Booten, die abfahren, sobald sie voll sind. Eigentlich war mein Plan gewesen, nach SanPedro La Laguna zu fahren, dummerweise stieg ich aber versehentlich zu früh aus und landete in San Juan La Laguna. Dafür hatte ich gleich Gelegenheit, die für mich schönste Ortschaft am See zu entdecken und den Tuk-Tuk-Fahrer Don Lucas kennen zu lernen. Er fuhr mich nach San Pedro und später am Tag auf einer Tour durch sein Heimatdorf. Zunächst besuchten wir einen Imker, der verschiedene Bienenarten hält, die allesamt keinen Stachel haben, dafür aber wie Ameisen beissen können. Sie produzieren verschiedene Honigsorten, die in der traditionellen Medizin der Maya für verschiedene Zwecke eingesetzt werden. Ich hätte nicht gedacht, dass Geschmack und Konsistenz derart unterschiedlich sein können!

San Juan La Laguna
San Juan La Laguna
Imkerei

Bei einer Kooperative, die althergebrachte Webkunst betreibt, erfuhr ich bei einer Demonstration viel über die Verarbeitung von Baumwolle zu Stoffen und Kleidern. Durch die Beibehaltung des von den Spaniern eingeführten hierarchischen Gesellschaftssystems bis weit ins 20. Jahrhundert waren die indigenen Maya stark marginalisiert (obwohl sie heute noch 42% der Bevölkerung ausmachen) und behielten viele Traditionen bei, unter anderem auch ihre prächtige Kleidung, deren Muster und Farbkombination Eingeweihten die Herkunft der Träger*innen verrät.

Traditionelle Stoffherstellung

Auch Schokolade wird hier von Hand verarbeitet, obwohl der Anbau von Kakao in tieferen, heisseren Lagen erfolgt. In der Gegend werden vor allem Mais, Bohnen, Zwiebeln, Kürbisse und Tomaten angepflanzt, neben anderen Früchten und Gemüse. Einen fantastischen Blick über die Felder erhielt ich vom Aussichtspunkt Cerro Kaqasiiwaan. Die Planken der Plattform sind mit Motiven bemalt. Überhaupt sieht man in den Dörfern rund um den See sehr viel Street Art.

Cerro Kaqasiiwaan
Cerro Kaqasiiwaan

Per Boot besuchte ich zwei weitere Dörfer mit ihrer jeweils eigenen Atmosphäre. San Marcos mit seinen vielen Yoga-Retreats und den ausschliesslich auf Englisch verfassten Speisekarten sprach mich überhaupt nicht an, obwohl mir die kleinen Gässchen unter anderen Umständen sicher gefallen hätten. Der grösste Ort am See, Santiago Atitlán, erfreute mich dafür mit seinen vielen Murals in den Seitengassen. Ein immer wieder auftauchendes Motiv ist der seltene Quetzal, der guatemaltekische Nationalvogel, dessen lange Schwanzfedern in der Maya-Zivilisation besondere Bedeutung als Statussymbol hatten und unter den Grabbeigaben bedeutender Herrscher gefunden wurde. Die heutige Währung Guatemalas ist nach dem Vogel benannt.

Street Art in San Pedro La Laguna
Street Art in Santiago Atitlán

Für einen als besonders schön geltenden Sonnenaufgang stand ich zum Abschluss meines Aufenthalts am See früh auf. Ziel war die "Nase" des Rostro Maya ("Maya-Gesicht"), der so heisst, weil die Gipfel tatsächlich einem menschlichen Gesicht im Profil ähneln. Für den Aufstieg im Dunkeln wurde ich aber nicht belohnt, es war zu dunstig und zu stark bewölkt. Dafür unterhielt ich mich ausführlich mit anderen Reisenden über bereits Erlebtes und noch Geplantes.

Über den Lago de Atitlán ging es wieder zurück nach Panajachel und weiter nach Antigua. Von dort startete am Folgetag eine zweitägige Wanderung auf den mit 3'976 m.ü.M. dritthöchsten Vulkan des Landes, den Volcán Acatenango. Nachdem ich meine Gruppe kennengelernt und Material für die Tour gefasst hatte, nahmen wir vom Weiler La Soledad aus den steilen Anstieg in Angriff. Die Umgebung änderte sich mit zunehmender Höhe: Weite Landwirtschaftsflächen wurden von mystischem Nebelwald abgelöst, der wiederum einem freundlichen Pinienwald wich. Nach einem längeren flachen Stück erreichten wir das Basislager, welches einen fantastischen Blick auf den benachbarten Volcán de Fuego bot. Es ist der aktivste Vulkan Mittelamerikas: Etwa jede zehn bis zwanzig Minuten kann ein Ausbruch beobachtet werden. 

Volcán de Fuego

Von der achtzehnköpfigen Gruppe war ich der einzige, der sich, der unsicheren Witterung zum Trotz, für die Besteigung des Grats des Volcán de Fuego entschied. Zusammen mit dem Acatenango bildet er zwar eine "La Horqueta" ("Die Mistgabel") genannte Einheit, allerdings muss dennoch ein Einschnitt von 500 Höhenmetern zweimal überwunden werden, und das nach deren 1'400 im vorhergegangenen Aufstieg. Zusammen mit einem der Guides schaffte ich den Weg innert kürzester Zeit und durfte einige Ausbrüche von Nahem erleben – so nahe jedenfalls, wie es noch einigermassen sicher war (Der Guide meinte zu mir, bei einer grösseren Eruption müssten wir wegrennen... nicht unbedingt vertrauenserweckend). Als ein Gewitter sich immer mehr näherte und zudem Nebel aufzog, entschieden wir uns für den Abstieg. Gerade wieder am Sattel angekommen, konnten wir dann einen langen Blitz beobachten, der während einer Eruption in den Krater einschlug, was Seltenheitswert hat.

Grat des Volcán de Fuego

Nach insgesamt zweieinhalb Stunden kamen wir wieder im Basislager an, gerade rechtzeitig für heissen Kakao und über dem Feuer gegrillte Marshmallows. Begleitet wurde der Abend von einigen atemberaubenden Eruptionen. Im Dunkeln konnten wir die Lava sehen, die in die Luft geschleudert wurde und auf die Flanken des Schichtvulkans zurückfiel – ohne zu übertreiben kann ich sagen, dass das eines der eindrücklichsten und grossartigsten Erlebnisse meines Lebens war. Bis zum Abendessen zog dann dichter Nebel auf, der die Entscheidung, zeitig ins Bett zu gehen, immerhin deutlich einfacher machte. Das laute "Wumm" der Ausbrüche war immer wieder zu hören, durch die bodenlangen Fenster der Hütte war aber nichts zu erkennen.

Lava am Volcán de Fuego

Morgens um vier Uhr hatte der Nebel sich dann gelichtet und wir konnten das Feuerwerk von Mutter Erde wieder geniessen. Wir stiegen die restlichen 400 Höhenmeter zum Gipfel auf und hatten unterwegs einen tollen Ausblick auf die Lichter von Antigua, bevor diese im Wolkenmeer verschwanden. Kurz nachdem die Sonne schräg hinter dem Volcán de Agua aufgegangen war, beanspruchte sein feuriger Gegenpart mit einer gewaltigen Aschewolke unsere Aufmerksamkeit, und wir konnten sogar bei Tageslicht noch einmal Lava sehen. Über die Aschefelder ging der Abstieg sehr flott und machte die mühsamen Abschnitte des Aufstiegs mehr als wett. Nach einem süssen Frühstück im Camp machten wir uns wieder auf den Rückweg, der uns mit schöner Aussicht im Gegenlicht belohnte. Unten angekommen, setzte beim Warten auf den Shuttlebus dann die Müdigkeit nach den Strapazen und der kurzen Nacht ein. Zum Glück durfte ich in meinem Lieblingshostel direkt unter die Dusche, um den Staub abzuwaschen, und mich eine Weile hinlegen. 

Sonnenaufgang am Volcán de Agua
Volcán de Fuego am Morgen
Volcán de Agua

Am Nachmittag traf ich mich noch einmal mit Lucy, am Ende kam sogar ihre Familie dazu. Schon spannend, wie gross Kinder in nur vierzig Monaten werden können! 😄

Am letzten Tag fuhr ich nach Ciudad de Guatemala, um mir das Museo Nacional de Arte Maya: Arqueología y Etología ("Nationalmuseum der Mayakunst: Archäologie und Ethnologie") anzusehen. Der Eintritt ist frei, die Sammlung aber absolut spektakulär. Objekte aus allen Epochen sind ausgestellt, und sogar einige organische Artefakte sind zu sehen, beispielsweise ein abgenagter Maiskolben, der den Übergang zu Sesshaftigkeit und Landwirtschaft illustriert. Immer wieder war ich fasziniert von der feinen Bearbeitung der verschiedenen Materialien, von den Details auf Figürchen, Stelen, Altären, Monumenten, Türschurzbalken und Knochen, von der Gestaltung und Farbgebung der Tonarbeiten, der Freskos und des Schmucks.

Stele
Figur einer Königin

Besonders Jade hatte grosse Bedeutung und war den Königsfamilien vorbehalten, während banales Gold auch vom Adel getragen wurde. Die Grabbeigaben des Herrschers Jasaw Chan K'awiil I., der unter dem Tempel des Grossen Jaguars in Tikal bestattet worden war, gehören zu den wertvollsten je gefundenen. Über 4 kg Jadeschmuck hatte der wohl meistgefeierte König des Stadtstaats an, und seltene Meeresmuscheln vermitteln einen Eindruck der weitreichenden Handelsbeziehungen Tikals. Eine Totenmaske aus einem weiteren Grab zeigt erneut die Kunstfertigkeit der Maya-Handwerker: Es handelt sich um ein dreidimensionales Mosaik aus Jade, Pyrit und Muscheln.

Totenmaske

Ein grosses Modell von Tikal zeigt, wie die am besten erforschten Mayastadt des Tieflands einst ausgesehen haben mag und gleichzeitig, wie sie sich jetzt präsentiert. Die Gebäude waren nicht bloss im natürlichem Grau des Kalksteins gehalten, sondern mit leuchtenden Farben bemalt gewesen, insbesondere rot und weiss kam offenbar bevorzugt zur Anwendung. Der ethnografische Teil des Museums spannt schliesslich den Bogen zu den modernen Maya und deren Synkretismus. Eine verehrte Figur ust beispielsweise Maximón (San Simón), dem heilende und beschützende, aber auch unheilvolle Kräfte zugesprochen werden. In der Karwoche wird seine Effigie in manchen Gemeinden durch die Strassen getragen, Gläubige können sich seiner Gunst mit Kerzen, Zigarren und Alkohol versichern.

Modell von Tikal
Maximón
Johanna
hat geschrieben
Donnerstag, Mai 2, 2024
Sehr spannend Dominik! Und ich habe gerade so Lust auf Kaffee bekommen (nach dem Lesen der Kaffeeplantage Führung) :)
René
hat geschrieben
Samstag, Mai 4, 2024
Kulturelle Höchstleistungen und explosive Naturspektakel: Auch Guatemala entpuppt sich für mich als sehr beeindruckendes, bisher völlig unbekanntes Land.
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