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Japan

Japan

Freitag, Juni 28, 2024

Für den Abschluss meiner Reise hatte ich mich entschieden, einem hochinteressanten Land einen Besuch abzustatten und gleichzeitig ein wenig aus meiner sprachlichen Komfortzone herauszukommen.

Die wichtigsten japanischen Wörter (Kon'nichiwa – Guten Tag, Arigatō – Danke, Sumimasen – Entschuldigung) hatte ich nachgeschlagen, um nicht völlig unhöflich zu wirken, alles Weitere musste ich auf Englisch kommunizieren. Dabei kamen auch immer wieder Hilfsmittel zum Einsatz: Recht beliebt sind "Point-and-speak sheets", auf denen das Gewünschte bequem während des Sprechens gezeigt werden kann. Manche Leute haben ein Übersetzungsgerät dabei, in das man hineinsprechen kann und welches dann einen übersetzten Text ausgibt. Auch Google Translate bietet diese Funktion an, und zusätzlich, ganz genial, besteht in Kombination mit Google Lens die Möglichkeit, mit der Kamera erkannten Text direkt im Foto zu überschreiben. Am besten funktioniert das übrigens, wenn man nicht auf Deutsch, sondern Englisch übersetzen lässt.

Überhaupt war mein erster Eindruck, dass für Vieles technische Lösungen gefunden wurde, die das Leben automatisieren: Seien dies Währungswechselautomaten, Check-in-Automaten im Hotel (direkt neben der 24-Stunden-Rezeption), Bestelltablets im Restaurant oder Kassenautomaten im Supermarkt, welche Münzen und Banknoten annehmen und direkt das passende Wechselgeld zurückgeben – verzählen ausgeschlossen!

An meinem ersten Tag regnete es in Strömen und während ich mich der örtlichen Bevölkerung anpasste, indem ich mir einen Schirm kaufte, musste ich wieder einmal daran denken, was für ein Wetterglück mir in den vergangenen Monaten beschieden gewesen war. Ich liess die Millionenstadt bei einem ziellosen Spaziergang auf mich wirken und wurde, als ich einen Eingang in eine Grünanlage suchte, von einem freundlichen Polizisten darauf aufmerksam gemacht, dass es sich nicht etwa um einen Stadtpark, sondern um den Wohnsitz der kaiserlichen Familie handelte. Unterwegs bestaunte ich die überall herumstehenden Verkaufsautomaten – die meisten bieten kühle Getränke an, aber ich habe auch welche mit frisch gepresstem Orangensaft, kleinen Snacks, Glacé oder ganzen tiefgefrorenen Mahlzeiten gesehen. Manchmal hat es daneben Sammelboxen für Dosen und PET-Flaschen, ansonsten ist die Mülleimersituation im öffentlichen Raum ziemlich unbefriedigend.

Verkaufsautomaten

Die Wolken verzogen sich über Nacht und ein strahlend blauer Himmel spannte sich über Japans Hauptstadt. Ich durfte erfreut feststellen, dass die berüchtigte tokioter U-Bahn ausserhalb der Stosszeiten gar nicht so voll ist, häufig hatte ich gar einen Sitzplatz. Praktischerweise sind die Stationen jeder Linie durchnummeriert, was die Orientierung wesentlich vereinfacht. Im Stadtteil Asakusa besuchte ich als erstes den Tempelbezirk rund um den Sensō-ji-Tempel. Begrüsst werden Besucher zunächst vom imposanten "Donnertor" (Kaminari-mon), in dessen Mitte ein riesiger, 700 kg schwerer Lampion hängt, und in dem vier buddhistische Gottheiten mit hölzernen Statuen geehrt werden. Dahinter führt eine von zahlreichen Verkaufsständen gesäumte Strasse, Nakamise-dori, auf den Haupttempel zu. Es ist der älteste und bedeutendste in Tōkyō, schon 645 soll der erste an dieser Stelle gestanden haben. Mehrmals brannte das Gebäude ab, zuletzt am 10. März 1945, als etwa 41 km² der damals noch fast komplett aus Holz gebauten Stadt beim zerstörerischsten Luftangriff der Geschichte einem Feuersturm anheimfiel. In jener Nacht verloren mindestens 80'000 Menschen ihr Leben und über eine Million ihr Obdach, ihr Hab und Gut.

Kaminari-mon

Auf dem Gelände befinden sich unter anderem auch eine fünfstöckige Pagode, ein Garten und ein Schrein der traditionellen japanischen Religion (Shintō). Einige Besucher trugen hübsche traditionelle Kimonos und Holzschlarpen. Ich durfte viel Neues erfahren, beispielsweise, wie das Reinigungsritual mit Wasser vollzogen oder wie dem Heiligtum die Ehre erwiesen wird.

Sehr beliebt sind auch die grossen hölzernen Kästen, anhand derer die Zukunft prophezeit wird – im Losverfahren wird eine Schublade ausgewählt, in der auf einem Zettel eine Vorhersage steht. Ist sie gut, nimmt man sie nach Hause, ist sie schlecht, bindet man sie an ein Gestell. Ich durfte meine behalten.

Sensō-ji-Tempel
Pagode
Tempelgarten

Ich spazierte ein wenig in der Gegend umher, unter anderem durch die Kappabashi-Dougugai-Strasse, eine Einkaufsstrasse mit überdachten Trottoirs. Anschliessend schaute ich mir den weltweit grössten Ballumgsraum von oben an: Der Tokyo Skytree bietet eine Aussichtsplattform auf 350 Meter Höhe sowie eine spiralförmige Galerie auf 450 Meter. Mit einer Gesamthöhe von 634 Meter ist es der höchste Turm (nicht Gebäude!) der Welt und entsprechend weithin sichtbar. Als ich wieder auf festem Boden stand, wurde ich von einer Gruppe Gymnasiast*innen für den Englischunterricht interviewt. Sie gaben mir im Anschluss einige wertvolle Tipps zu Spezialitäten, die ich unbedingt probieren sollte (was ich natürlich auch getan habe).

Tokyo Skytree
Aussicht über die Stadt

Später besuchte ich den Ueno-Kaisergeschenkspark, der für seine Kirschblütenpracht im Frühling bekannt ist. Die Saison ist natürlich längst vorbei, dafür begeisterte mich ein Seidenreiher, der sich im Shinobazu-Teich mit einer Gruppe Karpfen um winzige Fische stritt.

Im Ueno-Park
Gebetslaternen
Seidenreiher und Karpfen

Einen weiteren Ruhepol der Stadt bildet die weitläufige Tempelanlage des Meiji-Jingu-Schreins, ein Shintō-Schrein, in dem sich die Seelen des Kaisers Mutsuhito und der Kaiserin Shōken befinden sollen. Unter der "aufgeklärten Herrschaft" (Meiji) jenes Kaisers (Tennō) wurden grundlegende Veränderungen vollzogen: Japan wurde von einem isolierten Feudalstaat zu einer international anerkannten, modernen imperialen Grossmacht. Zahlreiche westliche Errungenschaften wurden eingeführt, darunter auch das Schulwesen nach preussischem Vorbild oder ein Parlament ähnlich dem britischen. Von diesem Umbruch zeugen auch Geschenke im Park: Gegenüber den in Stroh eingepackten Sakefässern aus allen Landesteilen sind Fässer mit Wein aus der Bourgogne gestapelt.

Laterne im Park
Sakefässer

Unweit des den Schrein umgebenden Parks war es wesentlich hektischer: Die berühmte Alle-gehen-Kreuzung im Stadtteil Shibuya ist eine der belebtesten Überquerungen der Welt – mein Eindruck ist allerdings, dass sich gegenseitig filmende Tourist*innen zumindest Abends einen Grossteil der beteiligten Personen ausmachen.

Shibuya Scramble Crossing

Um eine andere Sicht auf die Riesenstadt zu erhalten, machte ich mit einem futuristisch anmutenden Schiff eine Bootstour auf dem Sumida. Erstaunlich viele Brücken in verschiedenen Stilen führen über diesen Fluss. Am Ende fuhren wir unter der Rainbow Bridge hindurch, welche das Nordende der Bucht von Tōkyō überspannt. Der Name rührt daher, dass die Pfeiler der weissen Hängebrücke nachts dank Solarzellenenergie in den Farben des Regenbogens erstrahlen. Die Fahrt endete in Odaiba, einem beliebten Unterhaltungs- und Einkaufsgebiet auf einer künstlich angelegten Insel. Fuji TV betreibt in einem architektonisch interessanten Gebäude Studios und seit dem Jahr 2000 steht hier eine Kopie der ältesten Version der Freiheitsstatue. Sie wurde mit derselben Gussform gefertigt wie das Original auf der Île aux Cygnes in Paris und als Zeichen der französisch-japanischen Freundschaft in Tōkyō aufgestellt. Eine weitere Statue nimmt einen prominenten Platz direkt vor einem Einkaufszentrum ein: Es handelt sich um einen "lebensgrossen" Mobile Suit Gundam Unicorn, ein riesiger Kampfroboter aus der japanischen Populärkultur.

Schiff vorRainbow Bridge
Fuji TV
Mobile Suit Gundam Unicorn

Am Abend durfte ich dann zum ersten Mal über den Shinkansen staunen: Die meisten grösseren Städte des Landes sind mit diesen Hochgeschwindigkeitszügen untereinander verbunden. Schier unglaublich ist dabei, dass sie extrem pünktlich sind (Verspätungen sind im Sekundenbereich – dass höhere Gewalt in dieser Statistik aber nicht mitberücksichtigt wird, musste ich am letzten Tag auf dem Weg zum Flughafen selbst erleben), als sehr sicher gelten (es gab seit der Einführung 1964 keine tödlichen Unfälle) und alle paar Minuten fahren (ganz so, als ob es sich um eine Metro für ganz Japan handeln würde). Das Schienennetz ist dabei fast vollständig von demjenigen des Güter- und Nahverkehrs getrennt und nahezu überall eingezäunt. Der Name deutet schon an, dass es sich hierbei um das Rückgrat des japanischen Bahnnetzes handelt: Shinkansen bedeutet "Neue Hauptstrecke". Mit bis zu 320 km/h glitt mein Zug durch Reisfelder, Städte, Hügellandschaften und über zahlreiche Flüsse nach Ōsaka.

Shinkansen

In Ōsaka besuchte ich als erstes die imposante Burg, deren Bau 1583 durch Toyotomi Hideyoshi veranlasst wurde. Zusammen mit seinem Vorgänger einigte dieser Feldherr Japan. Das Schloss wurde 1615 im Krieg um seine Nachfolge durch die Truppen des Tokugawa-Shōgun zerstört, danach aber durch jenen mit verbesserter Verteidigungstechnik über einen Zeitraum von zehn Jahren wieder aufgebaut. Zwei hintereinander liegende Wassergräben dienten dem Schutz der Anlage. Hohe Steinmauern begrenzten eine künstliche Plattform, auf der Gebäude standen – diese bestanden der Erdbebensicherheit wegen aus Holz. So auch der Hauptturm, der mehrmals abbrannte – die heutige Version stammt aus dem 20. Jahrhundert und sieht zwar von aussen aus wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten, ist aber in Tat und Wahrheit ein originalgetreuer Stahlbetonbau mit Aufzug.

Burg Osaka
Burg Osaka

Ich erfuhr im Museum im Turm vieles über die Geschichte der Burg, besonders in den ersten fünfzig Jahren. Es sind Faltwände mit Schlachtszenen sowie Waffen und Samurai-Rüstungen zu bewundern, und vom obersten Stockwerk geniesst man eine grossartige Aussicht über die umliegende Stadt. Bis zum erstaunlich frühen Anbruch der Dunkelheit blieb ich im Park, der die Burg umgibt, und genoss das Prachtwetter.

Im Museum

Am Folgetag stolperte ich unverhofft in die bunte und faszinierende, aber extrem laute Welt des Pachinko. Diese Maschinen werden mit Hunderten, wenn nicht Tausenden von Stahlkugeln gefüttert, welche durch ein Labyrinth von Nägeln nach unten fallen und in der Regel als Nieten in einem Loch verschwinden. Ab und zu fallen sie aber auch in eines der Speziallöcher, welche dann bweirken können, dass Zusatzkugeln ausgegeben werden, dass das Labyrinth eine Zeitlang vorteilhafter gestaltet wird oder dass Zusatzspiele am Bildschirm ausgelöst werden. Glücksspiele mit Bargeld sind in Japan verboten, beim Pachinko wird daher auf einen Trick zurückgegriffen: Gewonnene Kugeln tauschen Spieler gegen diverse Preise ein; "Sondergewinnmarken" oder kleine Feingoldbarren können wiederum ausserhalb der Spielhalle an "unabhängige" Händler verkauft werden.

Pachinko
Pachinko

Ich spazierte durch die lebhaften Quartiere von Ōsaka, angefangen mit Shinsekai, einem Unterhaltungs- und Restaurantbezirk. An den Fassaden einiger Restaurants sind grossflächig angebotene Speisen dargestellt und es hat diverse Jahrmarktspiele, wie Dosenwerfen oder Bogenschiessen. Mitten im Quartier ragt der Tsutenkaku-Turm in die Höhe, dieses Mal entschied ich mich aber gegen einen Perspektivenwechsel.

Shinsekai

Weiter schlenderte ich durch Nipponbashi Den Den Town, wo neben Elektro- und Elektronikartikel auch alles Mögliche angeboten wird, das Sammlerherzen höher schlagen lässt. Man findet hier Händler für Mangas und Anime sowie Figuren der Helden, Warhammer-Figuren, Spielkarten (Pokémon, Yu-gi-oh!, Dragonball...) und Unmengen an Kästen, die wie Kaugummiautomaten mit Münzeinwurf funktionieren und alle erdenklichen Sammelfiguren ausspucken. Die Gegend ist auch für Dienstmädchen-Cosplay-Cafés bekannt, die ich aber nicht besuchte.

Figuren

Dafür ging ich durch die Kuromon-Markthalle, wo viel Fisch und Meeresfrüchte verkauft werden, darunter Oktopus-Spiesschen und roher Seeigel. Aber auch Blumen, Früchte und Wagyū-Rindfleisch können erworben werden. An manchen Markständen wird gleich auch die Zubereitung der Fleisches gratis mitangeboten.

Seeigel

Den Tag beendete ich in Dotonbori, einer langen Essens- und Vergnügungsmeile, wo diverse Spezialitäten angeboten werden. Auch hier zieren grosse Figuren die Wände, beispielsweise eine Krabbe, die Arme und Augen bewegt, ein Glücksdrache oder eine Sammlung frittierter Speisen nach Tempura-Art. Besonders nachts ist das Erlebnis mit den vielen Leuchtreklamen ziemlich überwältigend.

Dotonbori

Wiederum sehr ruhig und besinnlich war es im Shitennōji-Tempel zu und her. Er wurde 593 gegründet und bei jedem Wiederaufbau im gleichen Stil neu erbaut. Eine fünfstöckige Pagode darf betreten werden; im Inneren führt eine Wendeltreppe nach oben, eine parallele zweite nach unten. Gegen oben werden die Statuen und Plaketten immer spärlicher und kleiner. Übrigens repräsentieren die fünf Stockerke die fünf Elemente des Buddhismus (Erde, Feuer, Wasser, Luft und Leere).

Shitennōji-Tempel

In der Anlage gibt es zudem einen Schildkrötenteich – der Lehre nach befinden sich in einer Schildkröte mehrere Seelen auf dem Weg ins Nirwana. Ganz allein streifte ich zum Schluss noch durch den – für die Öffentlichkeit zugänglichen – Garten des Abts, in dem der Weg ins Paradies dargestellt ist. Als es zu regnen begann, machte ich mich auf den Weg nach Hiroshima.

Schildkrötenteich

Jene Stadt erlangte bekanntlich am 6. August 1945 traurige Berühmtheit, als um 08:15 Uhr die erste Atombombe in einem Krieg zum Einsatz kam. Rund 600 m über dem Boden detonierte sie etwa 140 m südwestlich der "Halle zur Förderung der Industrie der Präfektur Hiroshima". Das erbenensichere Gebäude des tschechischen Architekten Jan Letzel blieb trotz, oder gerade wegen, des geringen Abstands zum Bodennullpunkt in Teilen erhalten: Die gewaltige Druckwelle der Explosion wirkte praktisch senkrecht auf die Pfeiler, sodass die Kräfte vom Beton aufgenommen werden konnten. Einige Mauern und die charakteristische Stützkonstruktion des heute Atombombenkuppel genannten Gebäudes blieben stehen. Die Ruine war eine von wenigen, die nach dem Bombenabwurf im Umkreis noch stand, und wurde als Mahnmal im Zustand direkt nach der Zerstörung erhalten. Seit 1996 ist sie Teil des UNESCO-Weltkulturerbes, mit der Begründung, sie sei "nicht nur ein starkes Symbol der zerstörerischsten Kraft, die je von der Menschheit geschaffen wurde", sie drücke "zudem die Hoffnung auf Weltfrieden und der endgültigen Beseitigung aller Kernwaffen“ aus¹.

Atombombenkuppel
Kenotaph, Friedensflamme und Atombombenkuppel

Im einst dicht besiedelten und geschäftigen Zentrum der Stadt entstand der Friedenspark, der verschiedene Denkmäler und das Friedensmuseum enthält. Im Museum ist das tragische historische Ereignis dokumentiert und wird der Opfer gedacht – jener, die in den Tagen und Wochen nach dem Angriff durch schwere Verbrennungen oder Strahlenkrankheit umkamen und jener, die noch Jahrzehntelang, sogar bis heute, an den Folgen der Strahlenbelastung leiden. Die schonungslose Darstellung der Gräuel des Atomkriegs und des damit einhergehenden Leids geht unter die Haut. Fotos, Berichte und Bilder von Überlebenden, deformierte oder versengte Gegenstände tragen die eindringliche Botschaft der "Hibakusha" genannten Überlebenden an die Besucher heran: Nie wieder Hiroshima!

Kraniche von Sadako Sasaki

Ein Schicksal, das nicht nur mir besonders naheging, war dasjenige von Sadako Sasaki, die 1955 zwölfjährig an Leukämie starb. Im Krankenhaus faltete sie Kraniche, weil sie gehört hatte, dass man einen Wunsch freihat, wenn man eintausend davon macht. Als ihre Kräfte schwanden, benutzte sie Pinzetten, um immer kleinere Vögel zu falten. Nach ihrem Tod initiierten ihre Klassenkameraden das Kinderfriedensdenkmal, bei dem heute Tausende von Origami-Kranichen als lange Ketten aufgehängt sind.

Kinderfriedensdenkmal
Kraniche

Von Hiroshima aus besuchte ich Itsuku shima, die "Insel der Strenge". Sie gehört laut dem vielgereisten konfuzianischen Gelehrten Hayashi Razan zu einer der drei schönsten Gegenden des Landes. Auf dem Weg dorthin über die Seto-Inlandssee sah ich einen Rochen aus dem Wasser springen – was für ein Start in den Tag! Auf der Insel befindet sich der Itsukushima-Schrein, ebenfalls eine Weltkulturerbestätte. Er steht auf Stelzen in der Gezeitenzone, bei Flut ist er von Wasser umgeben. Das mächtige, 60 Tonnen schwere, zinnoberrote hölzerne Torii im Wasser ist sein Wahrzeichen und eines der beliebtesten Fotosujets des ganzen Landes.

Torii
Itsukushima-Schrein

Auf der Insel bewegten sich wilde Tiere ohne Scheu zwischen den Besuchern, manch ein Tourist fütterte die niedlichen Sikahirsche. Bei der Bergstation der Seilbahn soll es auch Japanmakaken haben, allerdings war die Bahn revisionsbedingt ausser Betrieb und der Zugang gesperrt, als ich da war.

Sikahirsch

Die Insel lädt eben auch zum Wandern ein, und entlang der Wege zum Gipfel des 535 m hohen Berg Misen stehen immer wieder kleine Schreine. Fast ganz oben befindet sich ein buddhistischer Tempel, in dem eine heilige ewige Flamme der Überlieferung nach seit dem Jahr 806 ununterbrichen brennt. Mit Feuer von dieser Flamme wurde die Friedensflamme im Friedenspark entzündet, die brennen soll, bis alle Atomwaffen der Erde verschwunden sind und ein dauerhafter Weltfriede zustandegekommen ist.

Aussicht vom Gipfel

Beim Abstieg besuchte ich noch den eindrücklichen Daishō-in-Tempel, wo eine Höhle mit verschiedenen buddhistischen Götterstatuen durch lange Reihen von Lampionen beleuchtet ist. Viele der Statuen waren mit hölzernen Plättchen behängt, auf denen die Wünsche der Gläubigen standen. Bemerkenswert sind ausserdem die fünfhundert Rakan-Figuren mit gestrickten Mützchen (Rakan sind die besten Schüler Buddhas). Teilweise sind sie mit Moos bewachsen und besonders im Herbst, wenn die roten Ahornblätter fallen, muss der Anblick spektakulär sein.

Laternenhöhle
500 Rakan

Die letzte Stadt, die ich besuchte, war Kyōto, die als ehemalige Kaiserstadt historisch und geschichtlich einer der bedeutendsten Orte des Landes ist. Den Zweiten Weltkrieg überlebte die Stadt glücklicherweise unbeschadet, weil sie zunächst als Top-Ziel für den ersten Atombombeneinsatz angesehen wurde und daher, um später die Schäden besser sehen zu können, keinen konventionellen Flächenbombardements mit Napalm ausgesetzt war. Der US-Kriegsminister Henry L. Stimson, der Kyōto während seiner Flitterwochen besucht hatte und daher um die Bedeutung der Stadt für das Volk wusste, verhinderte anschliessend die nukleare Zerstörung. 1994 wurden dann vierzehn Tempel und Shintō-Schreine in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen.

Ich schaute mir als erstes die Burg Nijō, welche 1603 als Repräsentationsbau des Tokugawa-Shōgun bei seinen (seltenen) Besuchen in der Stadt diente. Der Shōgun war eine Art Generalissimus, der oberste Samurai, welcher die politische Macht während der Edo-Zeit (1603 – 1868) innehatte und von der Burg Edo (im heutigen Tōkyō) aus regierte. Jene Zeit war von Stabilität und Frieden geprägt und endete mit der Übergabe der Herrschaft an den oben erwähnten Meiji-Tennō. Bei einer Führung durch die Burg erfuhr ich viel Neues über jene Zeit, die Gepflogenheiten am Hof und die Anlage selbst. Das Wohngebäude besteht aus Holz und Papier, die Wände sind vergoldet und reich bemalt. Die Hierarchie bei Empfängen wurde dadurch hervorgehoben, dass die ranghöchste Person auf einer erhöhten Plattform sitzt, die zum Schutz des Würdenträgers jweeils direkt neben einer Waffenkammer lag. Alle Besucher mussten freilich vor der Audienz ihre Waffen ablegen sich umziehen, damit sie sich nicht schnell bewegen konnten. Das Gebäude hat einen sehr seltsamen Grundriss, der es im Brandfall ermöglichte, einzelne Teile abzutrennen.

Nijo
Nijo

Der logische nächste Schritt für mich war eine Besichtigung des Kaiserpalasts. Die Innenräume sind Besuchern nicht zugänglich, aber ein Rundgang ermöglicht es, die Gebäude von aussen zu bestaunen. Blattgold und exquisite Dekorationen heben die Bedeutung der ehemaligen Residenz des Tennō hervor. Kurz nach der Machtübergabe verlegte der Kaiser seinen Wohnsitz nach Tōkyō, wo er heute noch lebt.

Kaiserpalast

Am Abend streifte ich durch das Gion-Quartier mit traditionellen Häusern, in dem mit etwas Glück Geikos (Geishas im lokalen Dialekt) und Meiko (Geisha-Anwärterinnen) angetroffen werden können. Wegen aufdringlichen Touristen wurden vergangenes Jahr die Regeln verschärft, fotografieren ist in einigen Strassen nur mit Bewilligung erlaubt und die Wohnstrassen dürfen nicht betreten werden. Auf der Gasse und durch Autofenster sah ich gleich mehrere der Unterhalterinnen. Im Rahmen einer Vorführung, die Touristen japanisches Brauchtum näher bringen sollte, sah ich zudem zwei Meikos bei einer Darbietung. Ausserdem wurden eine japanische Teezeremonie, Ikebana (kunstvolle Blumenarrangements), Bugaku (eine der ältesten Musikformen der Welt), Kyogen (Komik) und Bunraku (kooperatives Puppentheater) gezeigt.

Traditionelles Gebäude in Gion

Ein weiteres Highlight in Kyōto ist der goldene Zen-Tempel Kinkaku-ji, der pittoresk an einem Teich liegt. Seine Spitze ziert ein goldener Phönix. Ich entspannte mich am Ende in einem Teehaus, das zum Machatee süsses Gebäck mit Blattgoldflocken reichte.

Goldener Tempel

Zu guter Letzt wandelte ich durch die dicht hintereinander gebauten Torii des Fushimi Inari-Schreins, der Inari, dem Reisgott der Shintō-Religion, gewidmet ist. Die Tausenden von Torii wurden von Spendern finanziert, deren Namen in die zinnoberroten Pfosten eingeschnitzt sind. Die Farbe symbolisiert Lebenskraft und soll Böses abwehren. Ein von kleinen Schreinen gesäumter Weg führt bis zum Gipfel des Bergs Inari. Abgesehen von Torii und Laternen finden sich in den Schreinen auch zahlreiche Füchse, welche dem Glauben nach die Boten des Reisgottes sind.

1000 Torii
Schrein mit Torii und Füchsen

Referenzen:

¹ Webseite der UNESCO zum Friedensmahnmal: https://whc.unesco.org/en/list/775

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