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Nach der Rückgabe meines Fahrzeugs durfte ich wieder Passagier sein: Eine fast 23-stündige Zugahrt gen Süden brachte mich nach Florida, genauer gesagt nach Miami.
Der Sunshine State machte seinem Namen Ehre und begrüsste mich mit einer feuchtwarmen Umarmung und einem spektakulären Sonnenuntergang auf dem Weg nach Little Havana. Dieses Quartier verdankt seinen Namen der grossen Anzahl Exilkubaner, die sich ab den 1960er-Jahren hier ansiedelten. Vorher war das Gebiet übrigens als die Stadtteile Riverside und Shenandoah bekannt gewesen. Auch wenn die Kubaner klar den grössten Bevölkerungsanteil stellen, haben hier Leute mit Wurzeln in allen lateinamerikanischen Ländern eine neue Heimat gefunden. In der Stadt als Ganzes sprechen gut zwei Drittel der Bevölkerung Spanisch und die Behörden kommunizieren zweisprachig.
Am ersten Tag erkundete ich die nähere Umgebung. In la Pequeña Habana (Little Havana) ist besonders die Calle Ocho sehenswert: Sie bildet die Hauptstrasse des Quartiers, hier gibt es Bars und Restaurants mit leckerem kubanischem Essen, Kokosnussverkäufer und Läden, in denen Zigarren von Hand gerollt werden. Im Domino Park treffen sich Pensionäre, um Schach oder eben Domino zu spielen. Und ein Monument erinnert an die gescheiterte Invasion in der Schweinebucht und an die Exilkubaner, die dort starben. Zwischen allem suchen sich Hühner und Hähne Futter – es handelt sich um Nachfahren der Kampfhähne, die mit den Auswanderern hierher kamen.


Per Bus und Boot lernte ich an den folgenden Tagen andere Teile der "Magic City" kennen. Den Übernamen erhielt die Stadt wegen der regen Bautätigkeit in den 1920er-Jahren, derentwegen die Skyline im ständigen Wandel war. Böse Zungen behaupten allerdings, der Spitzname sei auf die wie von Zauberhand aus dem Nichts auftauchenden Staus zurückzuführen. In den 1980er-Jahren zogen, neben der Nähe zu den Herstellerländern, die zahlreichen Bauvorhaben auch Drogenbarone aus Südamerika an. Hier konnte Geld einfach gewaschen werden und die korrupte Polizei schaute gerne weg. Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts wurde schliesslich effektiver gegen die Kartelle vorgegangen, seither ging die zeitweise brutale Gewalt auf den Strassen drastisch zurück. Dies ermöglichte die Entwicklung von Stadtteilen wie Wynwood, ein ehemaliges Industriegebiet, das heute als Szeneviertel mit viel Strassenkunst bekannt ist.


Etwas, auf das ich mich besonders gefreut hatte, war der Besuch der Everglades. Mit einem Unternehmen, das mit der Nation der Miccosukee zusammenarbeitet, fuhr ich als Teil einer kleinen Gruppe ins Reservat dieses Stammes. Wir bestiegen dort ein Sumpfboot – das ist ein Flachbodenboot mit Luftpropeller, mit dem selbst sehr flache Bereiche und Land befahren werden können, da der Antrieb nicht ins Wasser ragt. Damit befuhren wir den so genannten "River of Grass". Ein grosser Teil Südfloridas bestand ursprünglich aus diesem Marschland. Es umfasst ein Gebiet, welches bis zu 120 km breit und über 160 km lang ist. Ausgehend vom flachen Okeechobee-See, der in der Feuchtperiode überläuft, fliesst das Wasser mit einer Geschwindigkeit von ca. 0.4 km pro Tag nach Süden, das letzte Wasser erreicht erst gegen Ende der Trockenperiode das Meer. Mit einer Tiefe von rund einem Meter ist es der breiteste, flachste und am langsamsten fliessende Fluss weltweit. Leider bedeuteten Trockenlegungsmassnahmen für die Landwirtschaft und diverse Baumssnahmen massive Eingriffe in dieses Ökosystem. Wegen illegaler Quecksilberentsorgung im See und der Verwendung von Dünger auf den Agrarflächen mussten auch die Miccosukee ihre Inseln und ihren Lebensstil hinter sich lassen – es wird empfohlen, nicht mehr als einen Fisch aus der Gegend monatlich zu essen und das Wasser nicht zu trinken.

Der "River of Grass" bietet diversen Wasserlebewesen und deren teilweise geflügelten Räubern einen Lebensraum. Kormorane und Reiher gedeihen hier ebenso wie Alligatoren. Von letzteren durften wir einige Exemplare beobachten, einmal sogar eine Mutter mit zwei Jungen. Alligatoren sind sehr fürsorglich und beschützen ihre Jungen nach Kräften zwei Jahre lang – dennoch überleben von einem Gelege von 20 bis 60 Eiern nur zwei oder drei Tiere bis ins Erwachsenenalter.


Ein weiteres Ökosystem in den Everglades ist der "Big Cypress Swamp", ein Sumpfgebiet, in welchem unter anderem auch Bären und der Floridapanther zu Hause sind. Die Säugetierpopulationen haben hier allerdings stark unter im letzten Jahrhundert von überforderten Haltern ausgesetzten oder entkommenen Dunklen Tigerpythons gelitten. Diese in ihrer Heimat Südostasien gefährdete Schlangenart stellt eine invasive Spezies dar, die hier zum einen keine natürlichen Feinde hat und zum anderen ideale Bedingungen vorgefunden hat, zumal sie bezüglich ihrer Nahrung nicht wählerisch ist und die Luft lange anhalten kann. Sogar Alligatoren sind nicht vor ihnen sicher! Inzwischen gibt es hunderttausende Pythons im Gebiet und der Staat bezahlt ein Kopfgeld, das sich nach der Länge des Tiers richtet.

Im Mündungsgebiet wachsen Mangroven im Brackwasser und bilden die "Ten Thousand Islands". Dort, am Rande der Bucht von Florida, tummeln sich Delfine, Haie und Seekühe, Stachelrochen, Pelikane und Rosalöffler. Letzteres ist eine hübsche pinke Vogelart mit löffelförmigem Schnabel, die relativ selten ist, auch wenn sich die Population langsam erholt. Viele Vogelarten des Gebiets wurden Anfang des letzten Jahrhunderts beinahe ausgerottet, um Damenfederhüte herzustellen.

Die ausgedehnten Austernbänke im Brackwasser boten vor tausenden von Jahren offenbar so viel Nahrung, dass die Ureinwohner in diesem Gebiet nie Landwirtschaft betrieben, sondern sich mit Jagen und Sammeln begnügten – die Austernschalen warfen sie auf grosse Haufen und kreierten so Inseln, auf denen sie wohnen konnten (und von der eine heute noch bewohnt ist).

Die südlichen Ausläufer der Everglades streifte ich noch einmal auf einem Ausflug nach Key West. Die Florida Keys, eine Kette von Koralleninseln, sind mit dem "Overseas Highway" (U.S. Highway 1) über 42 Brücken miteinander verbunden. Von den Brücken aus bieten sich Blicke in Richtung Atlantik (nach Osten bzw. Süden) und auf den Golf von Mexiko (im Westen bzw. Norden). Den Endpunkt bildet Key West und auch wenn der Name treffend ist, handelt es sich eigentlich um die anglisierte Aussprache von "Cayo Huesos" (zu Deutsch "Knocheninsel"; "cayo" bezeichnet eine Sandinsel).
Aufgrund seiner strategischen Lage am Eingang zum Golf von Mexiko kam Key West schon früh grosse militärische Bedeutung zu. Die US Navy hat hier einen Stützpunkt mit Oberflächenschiffen, U-Booten und einem Militärflugplatz. Während der Kubakrise 1962 wurde die Insel kurzfristig zu einer regelrechten Festung ausgebaut und das Personal massiv aufgestockt. Kuba liegt bloss 90 Meilen (145 km) südlich dieses Aussenpostens der USA.

Die gesamten Florida Keys sind für Schorcheln, Tauchen, Angeln und Glasbodenboottouren bekannt, da sie nahe des zweitgrössten Korallenriffs der Welt liegen. Mir blieb die Unterwasserwelt verwehrt, weil die See für einen Ausflug zu rau war. Dafür fand just in diesen Tagen das alljährliche Fantasy Fest statt. Nicht wenige Besucher waren daher verkleidet und einige trugen gar aufwändige Bodypaintings zu Schau.

Am Wochenende besuchte ich dann Miami Beach, was streng genommen eine andere Stadt ist, auf den Inseln vor Miami. Einige davon wurden mit dem Material aufgeschüttet, das beim Ausgraben der Schifffahrtskanäle und des Hafenbeckens angefallen ist. Hier haben sich Wohlbetuchte niedergelassen; Stars aus Sport, Musik und Film sowie Techunternehmer geniessen in der "Millionaires' Row" den Blick auf die Biscane Bay. Im Stadtzentrum sind viele Gebäude im Art-Déco-Stil erhalten geblieben und säumen auch die berühmte Promenade des Ocean Drive. Ich verbrachte den Grossteil des Tages allerdings am kilometerlangen Strand, wo ich am und im Wasser das Spiel der Wellen genoss.

Zum Abschluss machte ich eine Kayaktour im Norden der Stadt, in einen Mangrovenwald. Wir konnten auf der Tour Leguane und viele Vögel beobachten. Die Seekühe, die manchmal in der Gegend sind, haben wir leider aber nicht zu Gesicht bekommen.
