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In östlicher Richtung den Pazifik querend, machte ich eine kleine Reise in die Vergangenheit und erreichte nach einem Umweg über die Südstaaten der USA die Hauptstadt Panamas.
Vor der Landung flogen wir eine Runde über dem Pazifik, um an Höhe zu verlieren, sodass sich ein fantastischer Ausblick auf die vielen in der Bucht wartenden Schiffe, die Hafenanlagen von Puerto Balboa und die Skyline von Ciudad de Panamá bot. Seit den 2000er-Jahren wachsen Wolkenkratzer in die Höhe, die den diversen Akteuren dieses bedeutenden Finanzplatzes sowie Hotelketten Raum bieten. 174 Hochhäuser sind es derzeit, hunderte weitere Gebäude befinden sich im Bau oder in Planung.

Ich hatte mir für Panama vorgenommen, mich auszuruhen und keine langen Ausflüge zu machen. Zu diesem Plan passte ein Besuch der Ruinen von Panamá la Vieja bestens. Nachdem der Konquistador (und in der jetztigen Landeswährung verewigte Nationalheld) Vasco Núñez de Balboa 1513 von Ureinwohnern über den Isthmus von Panama geführt worden war, nahm er das "Südmeer" für die spanische Krone in Besitz. Panama verläuft in Ost-West-Richtung, sodass der Pazifische Ozean tatsächlich im Süden liegt, nicht im Westen. 1519 wurde hier die erste europäische Siedlung am Pazifik gegründet. Die Gegend war bereits von Indigenen bewohnt gewesen, und vermutlich aus der Sprache der Cueva-Indianer stammt der Ortsname: Panamá bedeutet "Überfluss an Fischen" oder "Überfluss an Schmetterlingen". Die Siedlung gewann rasch an Bedeutung, da von hier aus die Feldzüge nach Südamerika geführt wurden, bei denen unter anderem das Inkareich erobert wurde. Das erbeutete Gold wurde in Panama-Stadt auf Maultiere oder Lamas verladen und durch den Dschungel an die Karibikküste transportiert, von wo aus es zur Iberischen Halbinsel verschifft wurde. Auf umgekehrtem Wege gelangte der in englischen Diensten stehende Bukanier Henry Morgan 1671 in die damals grösste und reichste Stadt der spanischen Kolonien, eroberte und plünderte sie. Die Verteidiger entzündeten die Schwarzpulvervorräte, was zu einem Inferno führte, bei dem die Stadt vollständig zerstört wurde. Sowohl in Spanien als auch im Vizekönigreich Peru wurden nach Bekanntwerden dieser Niederlage riesige Flotten und Entsatzungsheere aufgestellt, um den wichtigen Verkehrsknotenpunkt wieder in spanische Hand zu bringen, die Piraten zogen aber mit den erbeutezen Reichtümern wieder ab. Weil Spanien und England zum Zeitpunkt des Angriffs bereits einen Friedensvertrag unterzeichnet hatten, wurde Henry Morgan verhaftet, bald darauf aber begnadigt, in den Ritterstand erhoben und als Vizegouverneur nach Jamaika entsandt. Der legendäre Kapitän fungiert übrigens als Namensgeber einer bekannten jamaikanischen Rummarke und taucht in der Populärkultur unter anderem als Figur im dritten Film der "Fluch der Karibik"-Reihe auf.


In den Ruinen hausten eine Weile lang noch Menschen, 1673 jedoch wurde Panama-Stadt rund 8 km weiter südwestlich auf einer Halbinsel neu gegründet. Diese als "Casco Viejo" bezeichnete Altstadt bildet zusammen mit den Ruinen von Panamá la Vieja eine Weltkulturerbestätte der UNESCO. Inzwischen ist die Stadt längst derart gewachsen, dass sie beide historischen Orte umschliesst.

Die schmucken Kolonialbauten der Altstadt besichtigte ich anderntags, nachdem ich am Fischmarkt zu Mittag gegessen hatte. Zahlreiche Orden haben hier ihre Konvente und Gotteshäuser. Überall war man emsig mit Vorbereitungen für die Osterprozession beschäftigt, während der Karwoche, der "Semana Santa", fanden jeden Abend weitere Umzüge statt. Ich schlenderte auf den alten Befestigungsanlagen am Meer entlang – der Blick war aber etwas verstellt von einer Umfahrungsstrasse, die sich auf einer langen Brücke in einigem Abstand halbkreisförmig um die Altstadt zieht.



Ein Bauwerk, welches ich auf dieser Reise unbedingt hatte besuchen wollen, waren die Miraflores-Schleusen am Panamakanal. In einem Schleusenpaar werden Schiffe in zwei Stufen je nach Tidenhub um insgesamt rund 13 bis 20 m angehoben oder abgesenkt, um die Höhendifferenz zwischen dem Pazifik und dem künstlich angelegten Lago Miraflores zu überwinden. Ein weiteres, einstufiges Schleusenpaar grenzt den Lago Gatún davon ab, einen Stausee auf 26.5 Meter über Meer. Die nominell gleiche Höhendifferenz besteht auf der anderen Seite des Isthmus und wird mit drei direkt aufeinander folgenden Schleusenpaaren bewältigt.

Von der Zuschauertribüne aus verfolgte ich zusammen mit Lucas aus Buenos Aires, wie ein Ausflugsboot, Segelboote und Ozeanriesen durchgeschleust wurden. Aus den enormen Schleusenbecken fliessen bei diesem Vorgang jeweils 101'000 m³ Süsswasser ab, die am unteren Ende teilweise als Trinkwasser aufbereitet werden. Das Personal achtet dabei darauf, die Schiffe ständig in der Mitte zu halten; die kleineren Boote werden mittels Leinen von Hand geführt, während bei den Frachtschiffen bis zu acht Dieselloks zum Einsatz kommen, die mit Seilen aus rostfreiem Stahl an Bug und Heck ziehen. Das ist nötig, um Schäden an der Infrastruktur und an den Schiffen zu verhindern: Die Schiffe der Panamax-Klasse, welche lange Zeit die grösstmöglichen Dimensionen darstellten, mit denen der Kanal noch durchfahren werden konnte, weisen jeweils nur knapp einen Fuss Abstand zu beiden Wänden auf! Seit der Eröffnung der zwischen 2007 und 2016 gebauten und parallel betriebenen Erweiterung sind sogar noch deutlich grössere Schiffe der Neopanamax-Klasse unterwegs; durch Sparschleusen mit Rückhaltebecken wird aber kaum mehr Wasser für die Schleusenvorgänge gebraucht. Allerdings: Der Klimawandel und der niedrigere Wasserstand des Lago Gatún während der aktuell zu Ende gehenden Trockenzeit in Kombination mit dem geringeren Auftrieb in Süsswasser zwingen die Reedereien dazu, die Schiffe nur teilweise zu beladen, um den Tiefgang zu verringern. An beiden Enden des 82 km langen Kanals befinden sich daher Häfen, bei denen Container auf Güterzüge verladen werden können, um den Isthmus auf dem Landweg zu queren. Wegen historisch tiefen Wasserständen mussten ab Mitte 2023 bereits in der Regenzeit Massnahmen ergriffen werden, insbesondere die Anzahl Passagen wurde limitiert.


In einem IMAX-Kino erzählt, warum auch immer, Morgan Freeman die Geschichte des Kanals: Bereits 1524 schlug König Karl I. den Bau eines Kanals vor, eine zu Abklärungen ausgesandte Expedition schloss allerdings, dass das Unterfangen mit den damaligen Mitteln unmöglich war. Dutzende Studien kamen in den folgenden Jahrhunderten zum selben Ergebnis, dafür wurde 1855 eine Eisenbahnlinie von Küste zu Küste eröffnet, die später wesentlich dazu beitragen sollte, dass der Kanal in Panama gebaut wurde statt im flacheren Nicaragua. Unter der Leitung von Ferdinand de Lesseps, der kurz zuvor den Suezkanal fertiggestellt hatte, scheiterte ein französisches Projekt, welches einen schluchtartigen Kanal auf Meereshöhe vorgesehen hatte. Auf einen Vorschlag Gustave Eiffels hin wurde ein modifizierter Plan ins Auge gefasst, der den Bau von Schleusen beinhaltete, allerdings ging die Baugesellschaft 1888 bankrott.
In den darauffolgenden Jahren identifizierte der US-amerikanische Militärarzt Walter Reed Mücken als Vektor von Gelbfieber und Malaria, die bis zu jenem Zeitpunkt über 22'000 Arbeiter das Leben gekostet hatte, zusätzlich zu den 12'000, die beim Bau der Eisenbahn aufgrund von Gelbfieber und Cholera umgekommen waren. Diese Erkenntnisse wurden später beim erfolgreichen Kanalbau der USA umgesetzt, indem massiv Insektizid versprüht wurde. Weil Kolumbien, zu dem Panama seit der Befreiung durch Símon Bolívar gehörte, den Plänen der USA abgeneigt waren, unterstützten letztere die siebzehnten Sezessionsbemühungen Panamas 1903 militärisch und erhielten im Gegenzug die Kontrolle über den zu bauenden Kanal und ein 8 km breites Gebiet an jedem Ufer. Durch die Stauung des Río Chagres und gewaltige Erdarbeiten wurde einer der grössten Erfolge der Ingenieurskunst des 20. Jahrhunderts schliesslich Tatsache; seit dem 3. August 1914, dem Tag, an dem in Europa der Erste Weltkrieg ausbrach, ist der Kanal in Betrieb. Der Vertrag mit den USA führte immer wieder zu Unmut, bis 1977 mit dem damaligen Präsidenten Jimmy Carter eine Übergabe und eine Rückzug der Truppen per 31.12.1999 ausgehandelt werden konnte. Seit Beginn des neuen Jahrtausends machen die Einnahmen aus dem Kanal einen wesentlichen Teil des Bruttoinlandsprodukts Panamas aus und machten es zu einem der reichsten Länder Mittelamerikas – immerhin laufen 6% des Welthandels durch dieses Nadelöhr, das einen Umweg von 15'000 km um das Kap Hoorn erspart.

Mit den Steinen, die beim Durchstich durch den Culebra-Gebirgszug angefallen waren, bauten die US-Amerikaner einen Damm, der das Festland mit vier Inseln verbindet. Er verhindert den Eintrag von Schlamm in den Eingang des Kanals durch eine Strömung, ausserdem ermöglichte er es dem Militär, das Fuerte Amador auf der Insel zu erreichen. Heute ist der "Calzada de Amador" genannte Damm frei zugänglich und bei Einheimischen wie Besuchern beliebt. Wir mieteten vor Ort Velos und radelten zur goldenen und blauen Stunde die aussichtsreiche Palmenallee entlang. In der Ferne konnten wir die ankernden Schiffe sehen, die sich in die Warteschlange für den Kanal eingereiht hatten; näher am Ufer liessen sich Pelikane, Fregattenvögel und Rabengeier beobachten.


Als Geheimtipp hatte ich die Empfehlung bekommen, den Parque Nacional Municipal, einen Trockenwald auf dem Stadtgebiet, zu besuchen. Verschiedenste Tierarten sollten dort zu beobachten sein, darunter Tukane, Papageien und Faultiere. Ob es an der Jahreszeit, dem Wetter oder dem Besucheraufkommen am Ostersamstag lag, vermag ich nicht zu sagen, jedenfalls bekam ich kaum ein Tier zu Gesicht. Die Grosse Ausnahme bildete ein zutraulicher Weissrüssel-Nasenbär (Coatí), der Damiano aus der Toskana gierig Wasser aus der Hand trank. Vom Gipfel des Cerro Cedro bot sich dann ein schöner Blick auf das Stadtzentrum.


Nach einem leckeren Abschiedsessen mit Lucas, Damiano und Maëlle aus Lyon, die aus Gründen der Nachhaltigkeit mit dem Segelboot über den Atlantik gefahren ist, nahm ich am frühen Morgen den Bus nach Bocas del Toro. Die Busfahrt, die zu Beginn einem Teil der Panamericana folgte, dauerte mit einem Halt zum Mittagessen über zehn Stunden. Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir den Ort Almirante ("Admiral") an der Karibikküste. Mehrere Flur- und Ortsnamen ehren hier Christoph Kolumbus, so auch das Ziel meiner Reise, die Isla Colón. Der Fahrtwind bei der rassigen vierzigminütigen Überfahrt tat nach der langen Zeit im Bus gut.

An meinem ersten Tag dort nahm ich den Bus nach Boca del Drago ("Drachenmaul"), eine Bucht an der Nordküste der Insel. Ihren Namen erhielt sie von Kolumbus, der auf seiner vierten und letzten Reise während der Hurrikan-Saison der Küste Mittelamerikas entlangsegelte. Er soll ein lautes Brüllen vernommen und die heisse Luft aus der geschützten Bucht verspürt haben – eine höchst willkommene Abwechslung nach den stürmischen Winden und hohen Wellen des karibischen Meeres. Ich ging dem Strand entlang zur Playa de las Estrellas, dem Sternenstrand, wo im flachen, ruhigen Wasser eine Vielzahl von Seesternen zu sehen waren. In einer gemütlichen Strandbar und beim Baden im warmen Wasser nutzte ich das fabelhafte Wetter, bis es am Abend Zeit wurde, ins Hostel zurückzukehren.

Wesentlich wilder präsentierte sich die Playa Bluff, wo die Wellen unentwegt anbrandeten. Ich genoss das regelmässige hin und her der Wogen und das beständige Meeresrauschen bei Mocktail und Pizza. Am späteren Nachmittag machte ich dann eine Strandwanderung, bei der ich das Ufer gleich noch vom Müll befreite.

An meinen letzten vollen Tag in Panama liess ich mich zum Red Frog Beach auf der Isla Bastimentos übersetzen. Auch der Name der "Proviantsinsel" geht auf Kolumbus zurück, hier versorgten sich seine Schiffe im Jahr 1502. Auch an diesem Strand brachen sich die Wellen, allerdings nicht gleich am Ufer, und sie waren auch bei weitem nicht so hoch wie am Vortag. Bei Bodysurfing, Strandwanderung und Ausspannen verging die Zeit äusserst angenehm.


