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Für einen lange geplanten Trek reiste ich weiter nach Puerto Natales in Chile. Die Stadt strahlt eine angenehme Atomosphäre aus, ist für Reisende aber vor allem eines: Das Tor zum Parque Nacional Torres del Paine.
Der Nationalpark ist einer der wichtigsten und bekanntesten Chiles und auch die UNESCO hat das 2'270 km² grosse Gebiet zum Biosphären-Reservat erklärt. Es umfasst einen Teil der patagonischen Steppe und der Anden, insbesondere das Paine-Gebirge, sowie mehrere Gewässer. Namensgebend sind drei Granittürme, wobei das Wort "Paine" aus der Sprache der Aonikenk stammt und "himmelblau" bedeutet.
Der Park wird vor allem sommers von rund 280'000 Menschen jährlich besucht, welche entweder als Tagestouristen anreisen oder einen von zwei Treks machen, welche ihrer Form wegen "W" und "O" genannt werden. Untenstehende schematische Karte zeigt beide Treks, das "W" ist in schwarz eingezeichnet, das "O" umfasst zusätzlich die weisse Strecke, welche nur im Gegenuhrzeigersinn begangen werden darf. Ich hatte mich für die rund 123 km des "O" entschieden und wegen der hohen Nachfrage bereits sechs Monate vorher die Übernachtungen gebucht.

Ich hatte eine Variante gewählt, bei welcher ich neun Tage lang wandern und einen Ruhetag gegen Ende haben würde. Obwohl ich versucht hatte, möglichst leicht zu packen, wog der Rucksack wohl 16.5 kg – und dazu kam noch die ganze Verpflegung. Gerade zu Beginn hatte ich viel zu viel Essen und Snacks vorgesehen und hatte fast fünf Kilogramm an unter anderem Spaghetti, Beutelsuppe, Brot, Keksen, Tutti Frutti und Schokolade dabei. Durch Aufessen und Verschenken wurde der Rucksack leichter und auch beim Wasser lernte ich rasch, den Sack nicht vollzumachen, sondern nur knapp genug für den Tag mitzunehmen – in den Bächen und Flüssen gibt es nötigenfalls ausreichend Möglichkeiten, Trinkwasser nachzufüllen.
Am ersten Tag erreichte ich nach drei Stunden Busfahrt das Ufer des Lago Pehoé, von wo aus es per Katamaran zum Campamento Paine Grande weiterging. Der See war von einem unwirklichen Blau unter einem eher grauen Himmel, gepeitscht von den starken patagonischen Winden, was die Überfahrt einigermassen unruhig machte. Regen und kalte Temperaturen empfingen die Wanderer am anderen Ufer, nur wenige hundert Meter weiter oben schneite es. Der Weg zum Campamento Francés nahm zum Glück nur rund zweieinhalb Stunden in Anspruch; ich hatte absichtlich einen gemütlichen Start in die Tour gewählt, um mich ans Gewicht und das Gehen zu gewöhnen. Unterwegs gab es einige schöne Ausblicke auf die Lagos Nordenskjöld und Sköttsberg.


Waren die Gipfel am Morgen des zweiten Tags noch verhangen, klarte es im Laufe des Tages auf und bei praktisch windstillen Verhältnissen hatten wir sogar richtiges T-Shirt-Wetter – tatsächlich kann man hier an einem Tag alle vier Jahreszeiten erleben. Nur mit einem leichten Tagesrucksack unterwegs, stieg ich durch das Valle Francés auf, vorbei am spektakulären Hanggletscher Glaciar Francés und den Cuernos (Hörnern) del Paine. Deren Spitzen bestehen aus einem 130 Millionen Jahre alten, dunklen Sedimentgestein, welches auf einem wesentlich jüngeren, hellen, plutonischen Gestein sitzt. Dieses entstand als Intrusion, indem Magma zwischen zwei Gesteinsschichten vordrang, aber nicht an die Oberfläche gelangte. Die darüber liegenden Schichten wurden dadurch angehoben, die Magma kühlte unterirdisch langsam ab und kristallisierte als Granit aus. Durch Erosion wurden die oben liegenden Schichten mit der Zeit abgetragen, sodass das plutonische Gestein heute freiliegt.


Der Mirador (Aussichtspunkt) Británico am Ende bot eine tolle Rundumsicht auf die Bergspitzen, das Tal und die Seen im Süden. Ich blieb fast eine Stunde, genoss das grosszügige Lunchpaket, das ich bekommen hatte, und unterhielt mich mit einigen kalifornischen Business-Studenten, welche ich am Vorabend in der Küche des Campamento Francés getroffen hatte.

Später am Tag marschierte ich dann mit Vollpackung bis zum Campamento Los Cuernos. Die Wanderung führte ein Stück weit über den Strand des Lago Nordenskjöld und dank dem nun stetigen Wind kam mit Wellengang richtiges Meerfeeling auf. Die Camps sind übrigens gut ausgestattet, verfügen über warme Duschen, Wasserklosetts, einen kleinen Laden und ein Restaurant. Fast überall können einigermassen teure Satelliteninternetstunden gekauft werden, ein Umstand, den die Reiseblogs, die ich vorbereitend gelesen hatte, noch nicht erwähnt hatten. Neben Zeltstandplätzen können fertig aufgebaute Zelte gemietet werden. Überall können zudem Mahlzeiten und Lunchboxen vorreserviert werden – in den meisten Fällen hatte ich das getan, um Gewicht zu sparen, gerade im "W"-Teil war die Option aber bereits nicht mehr überall verfügbar gewesen. Dafür gab mir das Gelegenheit, beim Abendessen mit einigen jungen Männern aus Santiago ins Gespräch zu kommen, die am Ende ihres "O" und entsprechend erschöpft waren.

Der dritte Tag war warm und sonnig, für mich aber der schwierigste Tag des Treks. Seit Beginn der Tour hatte ich mit einer Erkältung zu kämpfen gehabt, an jenem Tag hatte ich sogar Fieber. Da ich ohnehin in beide Richtungen mindestens drei Stunden zu gehen hatte, entschied ich mich dafür, dennoch weiterzugehen und zum Campamento Chileno aufzusteigen, mich dort auszuruhen und über die Weiterführung zu entscheiden. Trotz mehrerer grosszügiger Pausen ging ich am Limit und war froh, dass ich für diese Nacht ein Fixzelt hatte – ich brauchte bloss den Schlafsack auszurollen und konnte vor dem Abendessen (Lachs auf einem Couscousbett mit Salat!) einige Stunden ausruhen. Am Abend verzogen sich auch noch die letzten Wolken und ermöglichten einen atemberaubenden Blick auf die Milchstrasse und die Magellanschen Wolken, zwei auf der Südhalbkugel von blossem Auge beobachtbare Zwerggalaxien.

Viele Besucher*innen stehen in der Nacht auf, um den Sonnenaufgang an den Torres del Paine zu erleben, und dieser Morgen hätte sich angeboten wie kein anderer. Ich aber schlief aus, um mich zu erholen, und machte mich erst nach einem herzhaften Frühstück auf den Weg. Die Granitnadeln, die auch Chiles kleinste Banknote zieren, sind tatsächlich ein grossartiger Anblick. Ich hatte das Glück, sie noch knapp unverhüllt zu sehen, vor Ankunft der Massen von Tagestouristen legten sich dann bereits Wolken um die Spitzen. Ich traf dort die Gruppe aus Santiago nochmals, bevor sie sich auf den Heimweg machten und ich die Schritte in Richtung Campamento Central lenkte.


Ich hatte gut geschlafen und fühlte mich fit, dennoch entschied ich mich, eine Nacht im Einzelzimmer eines Hostels in Puerto Natales zu verbringen, um mich in einem beheizten Raum in einem weichen Bett noch etwas zu erholen. Früh am Morgen des fünften Tages entschied ich mich frisch ausgeruht dann dafür, den Teil in Angriff zu nehmen, der nur in einer Richtung begangen werden darf.
Die Etappe war nicht allzu lang und ich traf unterwegs nur wenige Leute an, was sicher auch der begrenzten Kapazitäten der Camps geschuldet ist. Genaue Zahlen habe ich nicht, aber ich schätze, dass jeweils etwa 60 Personen in den Camps übernachteten. Das macht einen Teil des Reizes der grossen Runde aus, abgesehen natürlich vom sportlichen Aspekt: Die Wege sind wesentlich weniger überlaufen als auf dem "W" und ab dem zweiten Tag trifft man immer wieder bekannte Gesichter an, sei es unterwegs oder im Camp. Auch wenn ich alleine unterwegs war und das sehr genoss, fühlte es sich an, als wäre ich Teil einer grossen Gruppe, die sich von einem Lager zum nächsten bewegte.

Der Weg bot bei sonnigem, aber windigem Wetter schöne Ausblicke auf den Río Paine, der hier durch die Ebene mäandriert. Das Campamento Serón liegt unweit seines Ufers und bietet ein kleines Restaurant mit Kiosk, ein Küchenzelt für Selbstversorger sowie ganz neue und sehr angenehme sanitäre Einrichtungen. Es ist durchaus ein Luxus, fernab der Zivilisation Solarstrom aus der Steckdose zu haben, das wohl versehentlich offene Starlink-Internet anzapfen zu können, fünf Minuten lang warm duschen zu dürfen und nicht einmal das Abendessen tragen zu müssen. Die Versorgung der verschiedenen Camps erfolgt per Boot, Geländewagen oder Lastenpferd, je nach Lage und Zugänglichkeit.

Schon beim Aufstehen am Morgen des sechsten Tages nieselte es und der Regen sollte uns durch den Tag begleiten. Zum Glück wanderten wir zumeist in der fast windstillen Ebene, nur auf einem Pass umtosten uns die Lüfte und trieben uns die Regentropfen ins Gesicht. Als einem der zuletzt Gestarteten zeigte der Verlauf des Wegs sich mir anhand der bunten Regenabdeckungen der Rucksäcke, welche durch die Landschaft getragen wurden. Wir folgten dem Río und Lago Paine durch Wälder und Feuchtgebiete zum Lago Dickson mit dem gleichnamigen Camp. Unterwegs mussten wir uns beim Kontrollposten Coirón registrieren – ohne entsprechende Reservierung darf man hier nicht weitergehen, ausserdem gibt es hier, wie auf allen Wegen, "Öffnungszeiten": Wer den Kontrollpunkt nicht rechtzeitig passiert, darf nicht weitergehen. Die Marschzeiten sind allerdings sehr grosszügig gerechnet; ich benötigte jeweils nur rund 70 % der angegeben Zeiten. Der aufmerksame Wärter stellte mir, als ich meine Daten ins Register eintrug, noch den Rucksack neu ein, was den Tragekomfort massiv erhöhte.



In Dickson angekommen, baute ich mein Zelt zwischen einigen der dornigen Calafate-Büsche auf und hängte meine Kleider zum Trocknen über die Brüstung des Refugios. Auch hier zauberte die Küchenmannschaft ein sehr leckeres Essen auf den Tisch, ein Stück sehr zartes Schweinefleisch mit Quinoareis und Salat. Auch auf alle möglichen Unverträglichkeiten wird Rücksicht genommen und beispielsweise eine glutenfreie, vegane Mahlzeit wäre in allen Camps problemlos erhältlich.
Heftige Winde zerrten in der Nacht an den provisorischen ebenso wie an den dauerhaften Strukturen; ich musste um halb zwei einen Hering neu setzen, bei meinem Nachbarn stürzte das Zelt gar ganz ein. Der Morgen brachte dafür einen prächtigen Sonnenaufgang und einen gemütlich-sonnigen Tag.

Die Etappe war recht kurz und führte, dem Río Los Perros folgend, durch den Wald. In einem Astloch schrien Jungvögel nach Futter, neben und unter dem Weg schäumte der Bergbach und ab und zu konnten wir einen Blick auf die umliegenden Gipfel erhaschen. Der Tag endete im Campamento Los Perros unweit des gleichnamigen Hängegletschers.


Ausruhen und Kräfte sammeln war angesagt, zumal das schwierigste Stück der Runde uns bevorstand. Spätestens um sieben Uhr morgens ist Check-out, damit sicher alle den Paso John Gardner rechtzeitig überqueren: An diesem Pass können sehr heftige Winde auftreten, deren Stärke im Tagesverlauf meist zunimmt. Auch in unserem Fall war ab 11 Uhr eine Wetterverschlechterung angekündigt, sodass alle früh loszogen, um vorher noch möglichst viel Weg zurücklegen zu können.
Bei beständigem Nieselregen ging es aufwärts, bis ich nach zwei Stunden die Passhöhe erreichte und sich der Glaciar Grey vor mir erstreckte. Dieser Talgletscher wird vom Campo de Hielo Patagónico Sur genährt und fliesst über eine Breite von sechs Kilometer talwärts, wo er sich an zwei Halbinseln teilt und mit drei Gletscherzungen in den Lago Grey kalbt. In den letzten Jahrzehnten zeigte er einen starken Rückgang, jedes Jahr wird ein Stückchen mehr der Halbinseln frei. Unterwegs zum Camp boten sich, trotz oder gerade wegen des Regengraus, fantastische Ausblicke auf die Eismassen mit seinen Schattierungen in Blau, Weiss und Grau.



Der Weg zum Camp bedeutete auch eine Rückkehr zu den Massen; allein im Refugio und in den Fixzelten zusammen können 240 Personen übernachten und die Mahlzeiten werden in drei Schichten eingenommen. Ich brauchte eine ganze Weile, um mich wieder daran zu gewöhnen.
Zur Erholung von den Strapazen des Vortags hatte ich einen Ruhetag eingeplant, an dem ich für eine Kayaktour zum Gletscher angemeldet war. Leider spielte das Wetter aber nicht mit: Wegen zu starkem Wind wurde die Tour abgesagt. Dafür waren noch Plätze für das Gletschertrekking vorhanden, sodass ich am Nachmittag per Boot bis zur nächstgelegenen Gletscherzunge fuhr. Einige der anderen Teilnehmer erkannte ich wieder – eine geführte Gruppe machte ebenfalls Pause im Campamento Grey. Ausgerüstet mit Steigeisen und Eispickel wagten wir uns auf die 30 Meter dicke Eismassen. Aus nächster Nähe konnten wir die blaue Maserung des Gletschers, die Spalten, Bäche und Wasserfälle bestaunen und sogar in eine faszinierende Eishöhle steigen, nachdem die Führer diese mit Seilen gesichert hatten.




Am zehnten und letzten Tag machte ich mich früh auf, um den Elf-Uhr-Katamaran im Campamento Paine Grande zu erwischen. Die Morgensonne tauchte die Gegend in ein herrliches Licht, von den Miradores erhaschte ich immer wieder schöne Blicke in Richtung Gletscher und in die vor mir liegende Landschaft. Es herrschte kräftiger Rückenwind mit heftigen Böen; für den Nachmittag waren Spitzen von 74 km/h vorhergesagt. Bereits knapp vor zehn Uhr erreichte ich den Bootssteg, der Katamaran liess hingegen auf sich warten und legte schliesslich erst um zwölf ab. Die Zeit ging aber rasch rum, ich unterhielt mich mit anderen Reisenden über ihre Pläne und Erfahrungen.

Auf der Rückfahrt über den durch suspendiertes Steinmehl gefärbten Lago Pehoé bot sich zum Abschluss ein tolles Panorama des Massivs, welches sich bei meiner Ankunft im Nationalpark noch in den Wolken verborgen hatte. Da die Fähr- und Busverbindungen seltsamerweise nicht sonderlich gut aufeinander abgestimmt sind, hatte ich sogar noch Gelegenheit, einen Spaziergang zum Wasserfall Salto Grande zu machen, bevor es schliesslich zurück nach Puerto Natales ging.


