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Nachdem ich die Magellanstrasse erneut überquert und an deren Nordufer in Punta Arenas übernachtet hatte, gelangte ich per Flugzeug in den Norden Chiles, nach Calama.
Der Flug führte, mit einem Umstieg in Santiago de Chile, den Anden entlang fast durch die gesamte Länge Chiles. Ich erkannte unterwegs mehrere Orte wieder: Puerto Natales, die Torres del Paine, den Glaciar Grey und den Lago Argentino. Zeitweise wurde die Sicht von dichten Wolken verdeckt, dann wieder war die Cordillera sichtbar. Langsam wandelte sich die Landschaft, die vergletscherten Gipfel wichen grünen Tälern und blauen Seen, am Horizont konnte ich die charakteristische Form des Lago Nahuel Huapi ausmachen, an dem Bariloche liegt. Ein bunter Flickenteppich von Landwirtschaftsflächen zwischendurch erinnerte mich an Europa, die zahlreichen Vulkane hingegen weniger. Nach und nach wurde die Landschaft karger, wich dann dem Häusermeer Santiagos und seinen ausserhalb liegenden Gated Communities mit Pool. Danach waren die Berge bald kahl und zeigten sich in bunten Farbtönen, die von Weiss über Ocker, Orange, Rostrot und Purpur bis zu Schwarz reichten, zum Teil war auch Grün oder Grau dabei. In manchen Hochebenen waren Salzseen und -ebenen erkennbar, die offenbar zum Teil auch bewirtschaftet werden.

Tatsächlich beginnt etwa 700 km nördlich von Santiago die Atacama-Wüste. Sie befindet sich zwischen der bis zu 2'000 m hohen Küstenkordillere und den Anden, gegen Norden ist die Begrenzung eher politischer Natur als durch klimatische oder biologische Merkmale bedingt. Im Grunde genommen zieht sie sich durch Peru bis an die Grenze zu Ecuador der Pazifikküste entlang. Die Wüste gilt, abgesehen von den Polkappen, als der trockenste Ort der Erde, es fällt kaum Niederschlag. Dies ist dadurch bedingt, dass sie einerseits im Regenschatten der Anden liegt und andererseits der Humboldtstrom, eine kalte Meeresströmung, die Bildung von Regenwolken verhindert. Nur dank dem Klimaphänomen El Niño kommt es überhaupt zu (jeweils heftigen) Niederschlägen, da die Meeresströmungen im Pazifik sich dabei temporär verändern und warmes Wasser vor der Küste Steigungsregen ermöglicht.

Die Minenstadt Calama, wo ich landete, besuchte ich nicht – hier befindet sich die grösste Kupfermine der Welt, in wesentlich kleineren Mengen werden auch Schwefel, Borax und Nitrate abgebaut. Ich liess mich stattdessen nach San Pedro de Atacama fahren, eine Oase der Atacama. Weniger als 2'000 Menschen leben hier dauerhaft, dafür besuchen über 50'000 das Dorf jährlich. Um diese Gäste buhlen die zahlreichen Reiseagenturen, die Ausflüge zu verschiedenen Sehenswürdigkeiten anbieten. Es gibt hier einige Bäche, welche die Oasen bewässen und an der tiefsten Stelle der abflusslosen Senke in einem Salzsumpf enden, dem Salar de Atacama. Hier verdunstet das Wasser und zurück bleibt eine poröse Schicht aus Natriumchlorid, welche bis zu 1.7 km dick ist und mit einer Sole durchsetzt, welche hohe Konzentrationen an Lithium, Kalium, Magnesium und Bor enthält. Überhaupt wird vermutet, dass die Atacama die grössten Vorkommen an Lithium weltweit aufweist, einem wichtigen Rohstoff für die Herstellung von leistungsfähigen Akkus.
San Pedro de Atacama befindet sich auf 2'450 Meter über Meer und Touristen wird für die Akklimatisation angeraten, ihre Ausflüge möglichst so zu planen, dass die höher liegenden Ziele gegen Ende besucht werden. Dennoch fuhr ich gleich am ersten Tag ins auf 3'000 m.ü.M. liegende Valle Arcoíris, das Regenbogental. Glücklicherweise wurde ich vom berüchtigten Soroche, der Höhenkrankheit, verschont. Der Weg dorthin führte an den noch etwas höher liegenden Yerbas Buenas ("Gute Kräuter") vorbei, wo jahrtausendealte Petroglyphen von der Bedeutung des Orts als Handelsplatz zeugen. In die Felsen wurden zur Kommunikation bzw. Vermittlung von Wissen Figuren gekratzt. Sehr häufig finden sich die als Lieferanten von Fleisch und Wolle, aber auch als Lasttier unentbehrlichen Lamas dargestellt, aber auch Füchse und ein Flamingo sind erkennbar. Zeichnungen von den in höheren Regionen lebenden Vicuñas sowie von einem Affen lassen die weitreichenden Handelsbeziehungen in die Anden und ins Amazonasgebiet erahnen. Auch die Inka, welche eine Zeit lang das Gebiet beherrschten, bauten eine wichtige Strasse, an der unter anderem San Pedro lag, durch die Wüste. Die Konquistadoren benutzten diese später während ihrer brutalen Eroberungsfeldzüge von Peru her.


Das Valle Arcoíris verdankt seinen Namen den bunten Farben, welche von über 250 verschiedene Mineralien erzeugt werden. Der "Bogen" wird gebildet durch grünlichen Granit, weissen Anhydrit und rötlichem Lehm, die hintereinander geschichtet sind. Ausserdem lassen sich im Tal verschiedene Felsformationen beobachten, welche durch Erosion entstanden sind. Auf dem Rückweg durch das Tal des Río salado, der seinem Namen zum Trotz Süsswasser führt, begegneten wir einigen neugierigen Lamas.



Nur wenige Kilometer von San Pedro entfernt und auf der gleichen Berghöhe befindet sich das Valle de la Luna ("Mondtal"). Es handelt sich dabei um ein Tal in der Cordillera de la Sal ("Salzgebirge") mit verschiedenen geologischen Formationen, welche durch Auffaltung und Erosion ursprünglich aus einem See entstanden sind. Die Landschaft ist völlig vegetationslos, was den Eindruck verstärkt, es sei ein Ort fern der Erde. Wer zum ersten Mal Bilder davon sieht, könnte meinen, die Landschaft sei mit Schnee überzuckert; tatsächlich aber handelt es sich bei der weissen Schicht um Salz (Natriumchlorid), welches den Boden bedeckt. Auch das lehmige Gestein an sich enthält Steinsalz. Dieses wurde eine Zeitlang im Tagebau gewonnen, die Minen wurden allerdings geschlossen, als der Einsatz von Sprengstoff in den 1980er-Jahren verboten wurde. Ironischerweise wurde das Grenzgebiet zu Bolivien kurz darauf vermint, als die Spannungen um die nördlichsten Provinzen Chiles ihren Höhepunkt erreichten. Bis zum Salpeterkrieg (1879 - 1884) hatten diese Provinzen zu Bolivien gehört, und dem eigenen Zugang zum Pazifik trauert das Land noch immer nach.

Das Valle de la Luna bietet aber auch Sanddünen und Felsformationen, welche das Gebiet wegen ihres ungewohnten Aussehens zu einem idealen Drehort für Star-Wars-Filme machen würde.


Ein weiteres Highlight direkt auf Höhe des Dorfes ist die Laguna Cejar. Es handelt sich dabei um einen Salzsee, in dem gebadet werden darf. Die Salzkonzentration ist derart hoch, dass sich Badende ähnlich wie im Toten Meer ohne Kraftaufwand vom Wasser tragen lassen können. Beim relativ langen Gang zu den Duschen verdunstet dann das Wasser, sodass sich eine ansehnliche Kruste aus Salz auf der Haut bildet.

Auf dieser Tour boten sich zudem weitere ungewohnte Ansichten, beispielsweise in der Laguna Tebinquiche, wo sich am Ufer Salzskulpturen gebildet haben. Fast alle Touranbieter legen bei den Nachmittagstouren gegen Ende einen Halt ein, bei dem ein Apéro mit Pisco Sour genossen werden kann.

Ein Ausflug, der wiederum etwas weiter in die Höhe ging, führte mich zum Río Puritama. Der Name stammt aus der Sprache der Kunza und bedeutet "warmes Wasser" – der Bach führt lauwarmes Thermalwasser, welches zum Bade einlädt und eine dichte Vegetation nährt. An verschiedenen Stellen kann man in natürlichen Becken herrlich entspannen oder sich von Wasserstrahlen massieren lassen, welche über die Steine herabschiessen. Nahe an den Quellen gibt es sogar Thermen mit Umkleidekabinen. Ich hatte mich aber für die naturbelassene Variante entschieden und suchte mir eine schöne freie Stelle. Als ich nach dem Plantschen bereits im Gehen begriffen war, wurde ich von einem Gewitter überrascht, das von Osten her aufgezogen war. Dass ich hier Regen erleben würde, hätte ich nicht gedacht!


Schon etwas akklimatisiert, wagte ich mich am vierten Tag auf 4'280 Meter über Meer, in den Vulkankrater des Tatio. Er befindet sich in den Anden, östlich der Atacama. Es handelt sich dabei um das grösste Geysirfeld der Südhalbkugel und das drittgrösste der Welt; etwa 85 Geysire und zwei Dutzend weitere heisse Quellen konzentrieren sich auf kleinem Raum. Das von den umliegenden Bergen herabfliessende Wasser wird durch relativ nahe an der Oberfläche liegende Magmakammern erwärmt und siedet in dieser Höhe bereits bei gut 85 °C. Wer das Schauspiel sehen möchte, muss allerdings früh aufstehen: Vor Sonnenaufgang herrschen Lufttemperaturen unter dem Gefrierpunkt, sodass der Dampf gut erkennbar ist. Schon eineinhalb Stunden später ist die Luft hingegen so warm, dass das Wasser rasch aufgenommen wird.



Im Gegenzug kamen wir in den Genuss eines reichhaltigen Frühstücks mit Guacamole, Käse, Salami, Marmelade, Orangensaft und Heissgetränken. Für mich der Star war dabei selbstverständlich die Baguette aus der Franchuteria, einem französischen Café in San Pedro, das übrigens auch hervorragendes Pain au Chocolat bietet. Bei der Rückfahrt konnten wir die mit den Lamas verwanden Vicuñas, das flinke, hasenähnliche Nagetier Vizcacha und Flamingos beobachten. In den Salzseen des Altiplano tummeln sich gleich drei der sechs weltweit existierenden Flamingoarten: Andenflamingo, Chileflamingo und Jamesflamingo. Sie lassen sich durch ihr Gefieder, ihre Schnabelfarbe und ihre Beine unterscheiden, so letztere denn zu sehen sind.


Die Atacama ist wegen ihres trockenen Klimas und ihrer Höhe auch für den klaren Nachthimmel bekannt. In mondlosen Nächten kann hier das Zentrum der Milchstrasse beobachtet werden, die südliche Hemisphäre bietet daher auch wesentlich mehr Sterne als die nördliche. In der Wüste und einigen höher ligenden Hochebenen befinden sich diverse grosse Teleskope der verschiedenen Raumfahrtagenturen. Die geschäftigen Tourenanbieter von San Pedro laden selbstverständlich auch zur Sternenbeobachtung ein. Ich hatte für meine letzte Nacht, mit möglichst viel zeitlichem Abstand zum Vollmond, eine Astronomie-Tour gebucht, die aber leider in letzter Minute abgesagt wurde.
Dafür besuchte ich das kleine Meteoriten-Museum, das auf 3'200 Funden in der Atacama-Wüste aufbaut. Die Ausstellung ist hervorragend gestaltet und zeigt verschiedene Arten von Meteoriten, einige davon auch materialografisch präpariert. Ein Audioguide erklärt die Entstehung der Erde und möglicherweise des Lebens, was mit verschiedenen Meteoriten anschaulich gezeigt werden kann. Am Ende durfte ich eine der gefallenen Sternschnuppen sogar berühren und mir etwas wünschen.

