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Toronto & Niagarafälle

Toronto & Niagarafälle

Dienstag, Oktober 10, 2023

Mit dem Zug ging es den Sankt-Lorenz-Strom hinauf bis zu seinem Ursprung, dem Ontariosee, und weiter nach Toronto.

Die Fahrt führte vor allem durch herbstliche Wälder und abgeerntete Felder, ab und an auch durch Moor- und Sumpfgebiete und mancherorts an Gewässer. Als wir den tiefblauen Ontariosee erreichten, glaubte ich im ersten Moment, wir hätten das Meer erreicht, die Wasserfläche ist immens. Und dabei ist er noch der kleinste der Grossen Seen. Diese fünf zusammenhängenden Seen, die selbst auf Weltkarten gut sichtbar sind, speichern zusammen rund 25% des Süsswassers der Erde – interessanterweise hat aber der flächenmässig viel kleinere, dafür umso tiefere Baikalsee sogar ein noch grösseres Volumen.

Am Nordwestufer des Ontariosees ursprünglich unter dem Namen York 1793 gegründet – sonderlich einfallsreich war die Namensgebung in der Neuen Welt zuweilen nicht – wurde der Ort 1834 umbenannt. Der Name leitet sich aus der Sprache der Mohawk ab und beschreibt eigentlich einen anderen Ort, nördlich des heutigen Stadtgebiets, "dort wo Bäume im Wasser stehen". Die genannten Bäume waren als Fischwehr im Engnis zwischen zwei Seen gepflanzt worden. Der Flurname gelangte über eine vom Huronsee her an jenem Ort vorbeiführende Portageroute an den Ontariosee, den "Toronto Carrying-Place Trail", ins heutige Stadtgebiet. Toronto verfügt dank einiger vorgelagerter Sandinseln über einen natürlichen Hafen. Die lange Uferprenade mit ihren zahlreichen Parks und die Inseln besuchte ich gleich als erstes, um mir einen Eindruck der Stadt zu machen.

An der Uferpromenade
Kormorane am Ufer

Am Abend hiess es dann "Go, Leafs, go!" in der Scotiabank Arena. Diese Mehrzweckhalle im Zentum Montreals wird für Eishockey-, Basketball- und Lacrossspiele der höchsten nordamerikanischen Ligen sowie für Konzerte und Theater genutzt und bietet je nach Nutzung Platz für bis zu 19'800 Personen. In dieser Funktion ist es auch ein riesiger Foodcourt, wo es neben Getränken und den Klassikern Pizza, Burger, Hotdog und Poutine auch karibische und asiatische Stände gibt.

Ich durfte mir das NHL Preseason-Spiel zwischen den Toronto Maple Leafs und den Detroit Red Wings ansehen und die tolle Stimmung im hauptsächlich mit blau-weiss gekleideten Fans gefüllten Stadion geniessen. Nachdem es in der regulären Spielzeit 3:3 gestanden hatte, erzielten die Gastgeber den Siegtreffer unter grossem Jubel in Overtime.

Scotiabank Arena vor Spielbeginn
Bully im dritten Drittel

In den darauffolgenden Tagen erkundete ich die Innenstadt. Mein Hostel lag direkt im Quartier Kensington Markets, wo es zahlreiche Restaurants und Lebensmittelläden gibt, aber auch Schmuck und Vintage-Kleidung erstanden werden kann. Wie Toronto insgesamt ist das Quartier ein Mosaik verschiedener Kulturen, Religionen und Ethnien. Passenderweise ist der Wahlspruch der Stadt "Diversity Our Strength" - mehr als die Hälfte der Wohnbevölkerung ist im Ausland geboren, und es gibt hier unter anderem den Corso Italia, Little India und Koreatown. Die Notrufnummer 911 ist entsprechend breit aufgestellt und beantwortet Anrufe in mehr als 150 Sprachen!

Kensington Market
The Garden Car in Kensington Market

Das Stadtzentrum ist ein bedeutender Wirtschaftsstandort und Finanzplatz, hier haben die wichtigsten Banken des Landes ihren Hauptsitz. Waren einige davon ursprünglich in Montréal angesiedelt, so wechselten sie aufgrund der immer wieder aufflackernden Sezessionsbestrebungen der Provinz Québec und deren Insistenz aufs Französische in die englischsprachige Metropole.

Wolkenkratzer im Finanzdistrikt

Um trotz der seit den 1960er-Jahren gebauten Wolkenkratzer ein stabiles Fernseh- und Radiosignal liefern zu können, wurde der 553 m hohe CN Tower als Sendeturm errichtet. Seine prominente Lage mitten in der Stadt verdankt er dem Umstand, dass der damalige Rangierbahnhof verlegt worden war, wodurch viel Platz für eine Neugestaltung freiwurde. Von seiner Fertigstellung 1975 bis ins Jahr 2007 war es das höchste Bauwerk der Erde und ist noch immer das Wahrzeichen und der Touristenmagnet Torontos schlechthin.

Der Fernseh- und andere Türme

In Toronto werden auch zahlreiche Filme und Serien produziert, die Produktionskosten sind hier deutlich geringer als in den USA. Meist spielt die Stadt dabei nicht sich selbst, sondern Grossstädte in den Vereinigten Staaten, um das dortige Publikum anzusprechen. "The Handmaid's Tale" und "Suits" werden bzw. wurden beispielsweise hier gefilmt, oder auch "Hannibal" und "It". Jeweils im Herbst findet ein grosses Filmfestival statt (TIFF - Toronto International Film Festival) und in der King Street befindet sich der Canada Walk of Fame mit Grössen der Musik- und Filmbranchen sowie aus dem Sport.

Canada Walk of Fame

Wie Montréal hat auch Toronto eine unterirdische Stadt, die verschiedene Geschäftshäuser miteinander verbindet und alles bietet, was man zum Leben braucht. Der eigentliche Name des Systems ist PATH, die Torontoer nennen es wegen seiner Komplexität aber auch "The Labyrinth". Es ist in privaten Händen und unter den 35 Besitzern konnte kein Konsens für eine einheitliche Wegweisung und Beschriftung gefunden werden, weshalb die Orientierung nicht ganz einfach ist. Des Nachts sind die Zugänge geschlossen, wohl auch aus Furcht, es könnten sich Obdachlose einnisten: In Toronto leben mehr als 10'500 Menschen auf der Strasse und in Notschlafstellen. Indigene machen einen überproportionalen Anteil von 23% aus, verglichen mit den 1.2% der Wohnbevölkerung. Erschreckenderweise weist die Statistik ganze 20% 13- bis 24-Jährige aus. Zu den Gründen für die Obdachlosigkeit zählen neben Armut auch Wohnungsnot, Gewalt zu Hause, Drogenabhängigkeit, Arbeitslosigkeit und psychische Krankheiten – in den letzten Jahren haben die Covid-19-Pandemie sowie die damit verbundenen Massnahmen einige Probleme zusätzlich verschärft. Wegen Gewalt und Platzmangel in den Auffangstationen sind in manchen Grünanlagen wahre Zeltstädte entstanden, die meisten derartigen Behausungen sind aber versteckter, ausserhalb des Zentrums, angesiedelt.

Die meisten älteren Gebäude der Stadt wurden im Zuge der städtebaulichen Entwicklung abgerissen und durch verglasten Stahlbeton ersetzt, einige "National Historic Sites" sind jedoch erhalten geblieben. Eine davon ist die ehemalige Gooderham & Worts Distillery, einst die grösste Distillerie der Welt. Der Industriekomplex aus viktorianischer Zeit lag günstig am Ufer des Don River und an der Eisenbahnlinie, sodass Korn angeliefert und die zu Spitzenzeiten jährlich produzierten 80'000 Hektoliter Whiskey verfrachtet werden konnten. Das Gebiet wurde seit seiner Stillegung 1990 immer wieder für Filmaufnahmen genutzt, über 800-mal kamen die 44 Backsteingebäude und 10 Strassen so zu einem Auftritt. Ab 2001 wurde die Anlage dann unter dem Namen "Distillery District" städtebaulich entwickelt und beherbergt heute Wohnraum, ein Theater, Boutiquen, Kunstgalerien, Restaurants und Cafés. Vielerorts werden Werkzeug und Bilder aus früheren Zeiten ausgestellt, die interessierten Besuchern den Prozess der Whiskey-Herstellung anschaulich erklären. Auf dem Gelände finden auch Wochenmärkte statt und der Weihnachtsmarkt von Toronto hat hier sein Zuhause gefunden.

Distillery District

Bisher hatte ich mit dem Wetter grosses Glück und milde Temperaturen gehabt. Aufs Wochende hin wurde es aber deutlich kälter und Regen kam auf, sodass ich einen Tag im Royal Ontario Museum einlegte. Es ist das grösste des Landes und stellt über 6 Millionen Exponate aller möglicher Bereiche aus. Ich konzentrierte mich vor allem auf die Ausstellung über die Ureinwohner Nordamerikas sowie auf die geologische Sammlung.

Reich verzierte indigene Kleidung

Zum Abschluss meines Aufenthalts in Kanada stattete ich den imposanten Niagarafällen einen Besuch ab. Hier stürzt Wasser, das vom Eriesee her kommt, 57 Meter in die Tiefe und fliesst weiter in den Ontariosee. Durch die Wasserentnahme der Kraftwerke in der Nacht werden die Wassermassen abends gedrosselt, morgens wird der Wasserfall jeweils wieder "hochgefahren", wobei dennoch nur etwa die halbe Durchflussmenge des oberen Niagara River die Felsen hinunterstürzt, während die andere Hälfte turbiniert wird. 

Niagarafälle vom Skylon Tower aus
Horseshoe Falls

Abends sind die Niagarafälle beleuchtet und seit dem 19. Mai bis und mit dem heutigen kanadischen Thanksgiving wurde täglich (!) eine kurze Feuerwerksshow geliefert. Was die lokale Tierwelt davon wohl halten mag... 

American & Bridal Veil Falls bei Nacht
René
hat geschrieben
Dienstag, Oktober 10, 2023
Ich finde dein Kanada-Programm super. Sehr eindrücklich sind die Dimensionen und Zahlen in praktisch allen Bereichen, die du beschreibst. Ich habe wieder viel erfahren und gelernt.
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